Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
09.01.2013
Peter Nemetschek: Milton Erickson lebt – Eine persönliche Begegnung“. Einzigartige Farbfotos und Originalbeiträge
|
|
|
Klett-Cotta, Stuttgart 2011
252 S., broschiert, großes Sonderformat mit ca. 80 Fotos, zum Teil farbig
Preis: 29,95 €
ISBN-10: 3608891153
ISBN-13: 978-3608891157 |
|
Verlag Klett-Cotta
Peter Stimpfle, Eichstätt:
Als ich hörte, dass Peter Nemetschek ein Buch mit dem Namen „Milton Erickson lebt!“ herausbringen würde, dachte ich für mich: „das wär’ toll“, denn auch ich hätte gerne die Erfahrung gemacht, Erickson persönlich kennenzulernen. Andererseits ist mir natürlich klar, dass dies nicht mehr möglich ist, denn wie wir alle wissen, starb Milton Erickson am 25. März 1980 in Phoenix/Arizona und ist dort begraben. 1980 war ich persönlich noch weit davon entfernt, Psychotherapeut zu werden. Nur Wenige aus dem deutschsprachigen Raum hatten die Möglichkeit, bei ihm zu lernen, meines Wissens sind dies Wilhelm Gerl, Alida Iost-Peter, Burkhard Peter, Gunther Schmidt, Bernd Schmid, Hans-Ulrich Schachtner und Peter Nemetschek (kein Anspruch auf Vollständigkeit). Umso dankbarer kann man sein, dass Peter Nemetschek sich nun die Mühe gemacht, seine Erfahrungen aus der Begegnung mit Milton Erickson niederzuschreiben und sie damit weiterzureichen. Manches davon ist schon bekannt, aber trotzdem findet man in diesem Buch einige Nuancen, welche die eindrucksvolle Persönlichkeit und Arbeitsweise des Meisters der Hypnose sehr lebendig werden lässt. Nachdem Hypnotherapie in Deutschland endlich die Anerkennung als wissenschaftliches Verfahren erreicht hat, ist es wichtig, diesen Bogen zu den Wurzeln zu schlagen. Neben persönlichen Erfahrungsberichten finden sich Fotos, die zwar – gemessen an der heutigen HD-Qualität – qualitätsmäßig „bescheiden“ daherkommen, trotzdem kann man das Wesentliche gut erkennen, den milden Blick, die Klarheit, Gelassenheit und das Wohlwollen Ericksons. Sehr unmittelbar und interessant bekommt man erzählt, wie eng verknüpft die psychotherapeutischen Verfahren „am Anfang noch“ waren (und eigentlich immer noch sind). Die Entwicklung seines hypnotherapeutischen Behandlungsansatzes war von Anfang an äußerst eng mit der Entwicklung der Psychotherapie verbunden. Seine persönlichen Erfahrungen bei einer Polioerkrankung mit 17 Jahren und seine spätere Tätigkeit bei dem Pionier der Hypnose und Verhaltenstherapie Clark Hull, dessen wissenschaftlicher Mitarbeiter er war. Verständlich wird die intensive Neigung zur Durchführung von Experimenten, ganz in der Tradition der experimentellen Psychologie. Anfänglich war Erickson offensichtlich ein Anhänger der Freudschen Psychoanalyse, wobei er dem Unbewussten „treu“ blieb, allerdings in anderer Form als Freud. Die Verbindung zu Hull zeigt sich auch in der Würdigung des Prinzips der Assoziation (bzw. der Konditionierung), das er in kleinsten Schritten gerade beim Lernen in Hypnose zu einer erstaunlichen Kunst machte: jeder kleinste Schritt wird positiv verstärkt, schwierige Situationen werden mit anderen Erfahrungen verbunden („assoziiert“), nach wie vor eines der wichtigsten Grundprinzipien der Hypnotherapie, aber auch der Verhaltenstherapie. Das Unbewusste nutzen als therapeutische Agens, als „therapeutisches Tertium“ (wie es Burkhard Peter so schön anschaulich umschrieben hat) geht genau in die andere Richtung wie bei Freud. Die Abschriften der Hypnosesitzungen und die dabei verwendeten Pausezeichen (ein Strich _ für eine Sekunde Pause) zeigen sehr lebendig, wie er das konkret durchführte (was in einer ausschließlichen Abschrift der mündlichen Äußerungen leider wegfällt). Erstaunlich wie viele Pausen Erickson im Gespräch machte, wie er sie einsetze und wirken ließ. Erickson war lange Jahre Leiter psychiatrischer Einrichtungen und eröffnete seine eigene Praxis erst nach einem tragischen Fahrradunfall, bei dem er nach einer Impfung einen anaphylaktischen Schock erlitt und als Folge dessen danach permanent unter chronischem Schmerz litt, die er mehrmals täglich mit Selbsthypnose behandelte. Beeindruckend finde ich auch, dass Nemetschek von der ersten Ehe Ericksons berichtet und ausdrücklich seine erste Ehefrau würdigt. Außer der Tatsache selbst ist von dieser nur wenig bekannt, es ist gut, dass es Nemetschek dabei belässt. Anders als Freuds Hausangestellte Anna Fichtl, die in ihren letzten Lebensjahren in Wien zu dessen Nachlass (soweit er in ihren Händen war) nach Belieben Journalisten Zugang gewährte (oder verweigerte), wird hier sehr würdevoll und angemessen mit den Erinnerungen umgegangen: große Persönlichkeiten haben – wie wir alle – auch ein Recht, manches mit ins Grab zu nehmen. Man muss nicht alles erfahren.
Ericksons Prämisse „Tue das Unerwartete“ wird sehr anschaulich an seinem konkreten Handeln im Umgang mit Patienten und bei der Durchführung von Hypnosesitzungen dargestellt. Durch die Art der Darstellung wird recht anschaulich, wie er langsam und behutsam Patienten ermöglichte, selbst etwas Kreatives entstehen zu lassen und zu erfahren. Während wir heute beflissen sind, möglichst jede Therapie – richtlinienorientiert – gleich zu machen, war Erickson bemüht, jede Behandlung der Individualität des Patienten anzupassen. Ich frage mich manchmal wie man gerade mit Symptomen wie Angst, Zwang oder Depression umgehen will, wenn jeder Schritt in der Behandlung vorprogrammiert ist – und möglichst bereits im Internet dargelegt wurde (wo es dann insbesondere von Patienten gesucht wird). Wie kann man sich seiner Angst wirklich stellen, wenn der Verstand schon weiß, was auf einen zu kommt? Da fällt mir das sehr ängstliche Kind einer bekannten Lehrerin ein, die ihr Kind bestens auf die Schule vorbereitet, in dem sie Proben einstudieren lässt (der Lehrplan ist ja bekannt). Kann Psychotherapie so gelingen oder darf es vielleicht mehr von dem sein, was der alte Meister aus Phoenix lehrte, sein: die Individualität pflegen und fördern? Sind wir in Studium, Ausbildung, Praxis, ... nicht oft geradezu bemüht, uns dahingehend zu prägen, das Erwartete zu tun? Am Ende des Buches legt Nemetschek seinen eigenen Ansatz, das Lebensflussmodell vor, seine individuelle Art, „wie die Erickson-Tradition in meiner professionellen Arbeit weiterlebt“. Fast gleichzeitig hat Hans-Ulrich Schachter in seinem Eigenverlag (www.harmonybalance), die von ihm aufgenommenen Videoaufnahmen als DVD-Sammlung herausgegeben („Milton Erickson live“). Ein Zufall? Vermutlich, aber eine prima Ergänzung übrigens, wenn man sich beides anschaffen will. Was bleibt ist auf meiner Seite die Dankbarkeit an alle, die bei Erickson waren, denn sie haben alle auf ihre Weise, sei es durch Bücher, Seminare, Vorträge, Kongresse, Ausbildungen und persönliche Begegnungen das weitergegeben, was sie von Erickson erhalten haben, wodurch es weiterleben und wirken kann. Vielleicht kommt da ja noch was nach ... wer weiß von wem ...?
Peter Stimpfle, Diplom-Psychologe, Psychotherapeut, 85072 Eichstätt, Kratzauer Straße 8, 85072 Eichstätt
Zur website des Autors
Verlagsinformation:
Milton H. Erickson war einer der kreativsten und erfolgreichsten Psychotherapeuten des 20. Jahrhunderts. Seine hypnotherapeutischen Interventionen wurden berühmt und gehören heute zum Basisinstrumentarium vieler Psychotherapeuten und Hypnotherapeuten. Umso sensationeller, dass mehr als 30 Jahre nach seinem Tod noch ein Buch mit bisher unveröffentlichten Fotos und Originaltranskripten erscheinen kann. Peter Nemetschek, der 1979 mehrere Seminare bei Milton Erickson in Arizona besucht hatte, wählte Auszüge aus seinen damals aufgenommenen Mitschnitten aus, übersetzte sie ins Deutsche, ordnete sie thematisch und bebilderte die Sequenzen mit etwa 80 Fotos. So wird es möglich, Milton Erickson noch einmal bei der Arbeit zu erleben. Ein konkurrenzloses Werk für die weltweit große »Fangemeinde« von Milton Erickson, gerade auch im deutschsprachigen Raum.
Über den Autor:
Peter Nemetschek ist Familientherapeut (DGSF) und Systemischer Supervisor. Er arbeitet seit 30 Jahren in freier Praxis in München. Er entwickelte die »Münchner Schule mit dem Lebensflussmodell« und erfolgreiche Curricula für Weiterbildungen und Workshops in Familientherapie, Supervision und Coaching. Autor mehrerer Bücher. |
|
|