Copyright © 2013
levold system design Alle Rechte vorbehalten. |
|
|
Neuvorstellung |
zur Übersicht |
27.02.2010
Anton Hergenhan: Aggressive Kinder? Systemisch heilpädagogische Lösungen
|
|
|
verlag modernes lernen, Dortmund 2010
127 S., broschiert
Preis: 16,80 €
ISBN-10: 3808006560
ISBN-13: 978-3808006566 |
|
verlag modernes lernen
Jürgen Hargens, Meyn:
Um mit meinem Fazit zu beginnen: Ein praktisches Buch, anregend, persönlich, theoriekonsistent und überaus konkret und hilfreich.
Hergenhan setzt sich in elf Kapiteln mit der das Buch einleitenden Frage „Was soll ich machen, wenn …?“ auseinander und wendet sich vorrangig dem Bereich „verhaltensauffällig und aggressiv“ zu. Dabei geht er von eigenen leidvollen Erfahrungen der Praxis aus, wie sie ihn – gewissermaßen als Praxisschock – am Beginn seiner Tätigkeit als Psychologe in einer Heilpädagogischen Tagesstätte traf.
Er stützt sich dabei auf systemisch-lösungsorientierte Ideen und macht gleich zu Beginn deutlich, dass die Suche nach den Ursachen, das „hypothetische Wühlen in den ‚Gründen’“ ihm dabei nicht half (S. 13). Das bringt ihn auf die interessante Unterscheidung von „Rekonstruktion“ – der Blick zurück in die eigene Geschichte, die Schwierigkeiten zu beschreiben – zur Prokonstruktion – „der Überlegung also, was auf welche Weise jetzt besser lauen könnte. (S. 13).
Hergenhan entwickelt (Kapitel 3) sechs Basalkriterien, die ihn in seiner Arbeit orientieren, wobei er immer wieder hervorhebt, dass „liebevolle und respektvolle Führung“ (S.17f) ein ihm überaus wichtiges Charakteristikum verantwortungsvoller Pädagogik ist. Die von ihm beschriebenen Basalkriterien lauten (S. 18 ff):
-
persönliche Präsenz
-
Führung, die das Kind mündig sein lässt und respektiert
-
ausdrückliche Identifikation der Ressourcen, der Fähigkeit
-
positive Beachtung des Symptoms
-
Lösungsentwurf des Kindes
-
Einbau des kindlichen Bezugssystem
Diese Kriterien hat Hergenhan aus seiner praktischen Erfahrung unter stringenter Beachtung systemisch lösungsorientierter Konzepte abgeleitet und verweist darauf: „Wenn ich … in der Orientierung an Grundsätzen bzw. Basalkriterien Sicherheit finde und ihnen Gültigkeit zumesse, dann nur, weil wir bis jetzt bei deren Anwendung die Bereitschaft verhaltensauffälliger Kinder erleben, mit uns fruchtbar zusammenzuarbeiten.“ (S. 24)
Und genau das macht den größten Teil des Buches aus – ein kommentiertes Gespräch einer heilpädagogischen Kindergruppe aus Anlass eines aggressiven (gewalttätigen) Vorfalls. Solche Vorfälle führen immer zur Einberufung einer „Vollversammlung“ der Kinder, moderiert von einem Teammitglied der heilpädagogischen Einrichtung. Dabei geht es nicht um Klärung der Schuldfrage, um Herausarbeiten der Ursachen, sondern um ein Miteinander im Dialog, damit zukünftig andere und friedfertigere Reaktionsweisen möglich werden. Gewalt wird nicht geduldet, so dass sie immer sofort zu einem Thema der rasch einberufenen Vollversammlung wird. Diese – systemisch gesehen – Kontexterweiterung ist die erste Veränderung und kann so weit gehen, dass auch betroffene Eltern mit hinzugezogen werden. Und unabdingbares Prinzip ist und bleibt die Haltung (oder sollte ich sagen: Regel): „Jeder Beitrag, auch der abweichende wird positiv kommentiert und von der systemisch aktiven Pädagogin in das Gesprächsgeschehen eingeordnet. (S. 50).
Das umfangreiche Beispiel einer solchen Vollversammlung, unterbrochen bzw. reflektiert und kommentiert mit den Überlegungen von Hergenhan zeigt nachdrücklich die Anwendung und Umsetzung der Basalkriterien in eine systemisch heilpädagogische Praxis.
Für mich bildet dieses Kapitel (S. 49 – 103) das Herzstück des Buches und zeigt, dass und wie die entwickelten Kriterien in eine herausfordernde Praxis (Gewalt zwischen Kindern) umsetzbar werden. Und Hergenhan macht deutlich, dass eine solche Umsetzung nicht reibungslos verläuft, dass auch Fachleute hilflos sei können, ärgerlich werden – doch die Basalkriterien und deren Beachtung ermöglichen immer wieder ein liebevolles und respektvolles Miteinander. Um Hergenhan zu zitieren: „Heilpädagogische Praxis, die sich im Respekt vor dem Kind übt, muss das Kind als Mitarbeiter begreifen und das, was Erwachsene gut begründet wollen, mit ihm zusammen akzeptabel aufbereiten.“ (S. 35)
Das Grundlegende dieser Konzeption ist auch in der Idee enthalten, dass „jede Verhaltensauffälligkeit Hinweis auf kindliche Kommunikationswünsche, die nicht übergangen werden dürfen [ist]. Kinder haben ein Recht auf Erziehende, die auch emotional eindeutig klar informieren, was sie von ihnen erwarten“ (S.111). Wie mühselig und herausfordernd dies sein kann, ohne Respekt und Zuwendung zu verlieren – das zeigt das „Protokoll“ der kommentierten Vollversammlung. Es zeigt auch, dass so etwas möglich ist. Um noch einmal Hergenhan zu zitieren: „Die sechs systemisch heilpädagogischen Basalkriterien bieten uns auf dem Weg … methodische Orientierung. Wenn wir diese Basalkriterien parat halten, können wir uns selbst und den Kindern wertschätzend begegnen.“ (S. 122)
Ich kann dieses Buch uneingeschränkt empfehlen und der Verlagsankündigung nur zustimmen: „Ein Buch, das Mut macht, anregt und Hoffnung verbreitet.“
Zum Blog des Autors Anton Hergenhan
Leseprobe aus Kapitel 1 und 2
Leseprobe aus Kapitel 4
Verlagsinformation:
Kinder beleidigen sich, Kinder schlagen sich: eine Wirklichkeit, die für viele Eltern und pädagogische wie psychologische Fachkräfte zum harten Alltag gehört. Der Autor arbeitet in diesem Alltag. „Verhaltensauffällige“ Kinder werden von ihm und seinem Team in heilpädagogischen Gruppen therapeutisch betreut. „Wie machen Sie das? Bei euch flippt mein Kind nicht aus. Bei mir schon!“ Diese häufig gehörte Elternfrage beantwortet Hergenhan nicht im Stil theoretischer Besserwisserei. Sein erfolgreiches Konzept ist an der harten Erfahrung mit kindlichen Aggressionen gewachsen. Er zeigt ganz konkret auf, wie die elterliche, pädagogische bzw. therapeutische Begegnung mit Kindern so gestaltet werden kann, dass verbale wie tätliche Aggressionen aufhören und stattdessen friedliches Auskommen gelingen kann. Wie spreche ich mit Kindern, die sich beleidigen, brutal aufeinander losgehen und sich schlagen? Diese Frage ist mittlerweile im breiten Feld der Kinderbetreuung zu einem pädagogisch therapeutischen Grundsatzthema geworden. Hergenhan schildert detailliert, wie ein Gespräch mit Kindern systemisch geführt werden kann. „Systemische Methoden sind erfolgreich. Jeder Pädagoge und jeder Psychologe kann das erleben“, behauptet er. In seinem Buch kommen die Kinder und die systemisch arbeitenden BetreuerInnen selbst zu Wort. Der Leser erfährt am Gespräch mit den Kindern, was genau in der Bearbeitung kindlicher Aggressionen systemisch zum Frieden führen kann. Aus dieser Praxis entwickelt der Autor sechs Basalkriterien, die präzise erkennen lassen, worin aus seiner Sicht systemisch therapeutisches Arbeiten überhaupt besteht. Ein Buch, das Mut macht, anregt und Hoffnung verbreitet.
Über den Autor:
Anton Hergenhan, Jahrg. 1960, ist Dipl.-Psychologe (Studium in Bamberg, Schwerpunkt Klinische Psychologie, Verhaltenstherapie). Seine therapeutische Zusatzausbildung absolvierte er in München (Systemische Individual-, Paar- und Familientherapie). Seit 1992 arbeitet er als Psychologe und Leiter einer teilstationären Einrichtung für verhaltensauffällige Kinder. Seine tägliche systemisch therapeutische Arbeit umfasst die Beratung der Eltern, den kooperativen Austausch mit den Lehrkräften und die familientherapeutische Integration aller an der Erziehung Beteiligten. Verhaltenstherapeutische und Systemische Methoden verbinden sich in seinem Konzept zu einem wirksamen Interventionsprogramm. |
|
|