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10.02.2007
Jean-Claude Kaufmann: Schmutzige Wäsche. Ein ungewöhnlicher Blick auf gewöhnliche Paarbeziehungen
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UVK Verlagsgesellschaft, Konstanz 2005
2. Auflage
326 S., Paperback
Preis: 16.90 €
ISBN: 3896695231 |
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UVK Verlagsgesellschaft
Oliver König, Köln:
J.-C. Kaufmann (Clermont-Ferrant), von dem noch ein zweites Buch in deutscher Übersetzung vorliegt (Frauenkörper - Männerblicke, Konstanz 1995) (*), in dem es ebenfalls um die Geschlechterbeziehungen geht, zeigt sich als ein Meister der „kleinen Form“, vergleichbar mit den Arbeiten von Erving Goffman in der amerikanischen Soziologie. Sein Blick richtet sich auf die Schwierigkeiten der Protagonisten in Partnerschaft und Ehe in Zeiten des Übergangs, hin- und hergerissen zwischen moderner „Gleichheitsmoral“ und den „Gesten des Körpers“, in denen die Traditionen der Herkunftsfamilie aufgehoben sind, die in der Regel noch von der Ungleichheit der Geschlechter gekennzeichnet sind. Konkret untersucht werden die Verständigungsprozesse in Paarbeziehungen über die Art und Weise wie mit der schmutzigen Wäsche umgegangen wird, mit der sich zugleich „die Erinnerung an die ursprüngliche Rolle der Frau“ (9) verbindet, die in der klassischen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern ihr Fundament hat. Mit der Wäsche sind zugleich Sauberkeits- und Ordnungsgewohnheiten verbunden, die in der Kindheit durch Nachahmung gelernt und zu Handlungsselbstverständlichkeiten geworden sind und damit den Kern einer praktischen Logik ausmachen, die nur partiell bewußtseinsfähig ist, will sie ihre Funktionalität bewahren. Zugleich wird dadurch das Paar stabilisiert, da „die Kunst des Zusammenlebens in einer Partnerschaft darin besteht, nur über das nachzudenken und zu diskutieren, was unbedingt nötig ist“(32). Befragt wurden 20 Haushalte, zuerst die Frauen und Männer getrennt, dann das Paar gemeinsam, um über die systematische Erhebung von Widersprüchlichkeiten die „soziale Fragmentierung der Individuen hinter ihrer vordergründigen psychologischen Einheit zu identifizieren“ (12). Ich-Identität und Paar-Identität stehen in konflikthafter Beziehung, und die Paare verteidigen ihre Einheit, auch um den Preis, daß sie wesentliche Strukturelemente ihrer Beziehung sich selbst und dem Partner gegenüber verdeckt halten müssen. Nach einer kurzen Einführung über die Bedeutung der Wäsche in der traditionellen Rolle der Frau schildert Kaufmann den Entstehungsprozeß von Paaren, seine Koppelung mit der Ablösung vom Elternhaus, was für die Tocher-Mutter Beziehung durch die Mischung von Lernen und Auflehnung besonders konflikthaft ist, für den Mann hingegen zumeist nur das Ende der „Dienstleistungsbeziehung“ zur Mutter bedeutet. Mann und Frau als „vertraute Fremde“ (72) werden auf der Bühne ihrer Paarbeziehung zu Akteuren eines Modernisierungsprozesses, dessen Drehbuch sie zunehmend selber schreiben müssen. Dabei werden sozial determinierte Rollen verstärkt ersetzt durch interaktiv auszuhandelnde Gewohnheiten, die von einem aufmerksamen Publikum, bestehend aus Freunden, Eltern und Schwiegereltern sowie dem Partner, begutachtet werden. Auch gegen den Willen beider Partner und ihren explizit geäußerten Gleichheitsvorstellungen, d.h. der Akzeptanz eines Ehe- bzw. Paarmodells, das für beide die Berufstätigkeit vorsieht, tendieren in diesem Stück die Paare dazu, eine ungleiche (häusliche) Arbeitsverteilung zu reproduzieren, zumal die sozialstrukturellen Bedingungen z.B. des Arbeitsmarkt diese Tendenz unterstützen. Der Prozeß der Haushaltsintegration produziert eine begrenzte Harmonisierung der Verhaltensweisen, was in der Regel die Ansprüche an Sauberkeit und Ordnung in die Höhe treibt. Modelle vollständig gleichberechtigter oder spontan immer wieder neu zu schaffender Arbeitsteilung erweisen sich als zeit- und energieaufwendig und vernachlässigen zudem persönliche Dispositionen, die ja gerade unterstützt werden sollen. Und hier „entfaltet das Kapital an praktischem Wissen häufig allmählich seine subversive Kraft und begrenzt den Freiheitsspielraum der Akteure“ (155), die „Trägheit der inkorporierten Gewohnheiten“ (160) erweist sich als stärker. „Manchmal versuche ich mich zu mäßigen, aber ich schaffe es nicht, ich muß einfach aufräumen“, „es ist stärker als ich“ (186), diese rhetorische Figur taucht in immer neuen Variationen auf und bezeichnet den Augenblick, in dem für die Frau „die Falle“ zuschnappt. Wesentlich für diese Dynamik ist der Bruch zwischen den inkorporierten Gewohnheiten und den Idealen, womit mehr gemeint ist als der Unterschied zwischen Einstellung und Verhalten, wird hier doch ein Kern der Person berührt, der sich als „Antrieb“, als „passives Erbe“ äußert und nur bedingt reflexionsfähig ist. Während im alten Familienmodell die traditionellen Handlungsweisen der Frau noch ein „gewinnträchtiges Kapital“ darstellten, so verwandelt sich diese Kompetenz nun allzu schnell in ein „Negativkapital“, da sie auf dem Hintergrund des Gleichheitsideals nur noch „mit negativem Bewußtsein“ eingesetzt werden kann. „Diese Verschiebung führt zu einem doppelten Effekt. Sie drängt den Besitzer des größeren Kapitals dazu mehr zu tun, und verbietet gleichzeitig dem Inhaber des geringeren Kapitals, diese Anstrengung anzuerkennen“ (191). Diese schleichende Veränderung in der Ökonomie familiärer Austauschprozesse bedient sich der Illusion des „Alles-hat-sich-so-ergeben“, zeigt sich aber unterirdisch in einer komplexen Mischung von Selbsthingabe und Schuldenrechnung, in ritualisierten Konflikten und der kleinen Rache, der beiläufigen Bemerkung und dem vielsagenden Schweigen. Der Mann wird hierbei häufig zum „schuldbewußten Schüler“, der durch diese Schülerrolle zugleich die Gesamtkonstellation aufrechterhält. Diese Rolle ist das Äquivalent zur weiblichen Falle, da die Lastenverteilung nicht der mehr oder weniger verinnerlichten Gleichheitsnorm entspricht. „So wie die Falle rührt das Schuldgefühl aus der Wahrnehmung einer Inkohärenz, einer Kluft in der Person zwischen den Gesten und den Ideen“ (287). Diese hier nur in Grundzügen rekonstruierte Argumentation Kaufmanns, die mit einer Fülle von Details, scharfen Beobachtungen und theoretischen Reflexionen aufwartet, ist für den therapeutischen Kontext gerade deswegen von besonderer Wichtigkeit, weil er als soziales Phänomen sichtbar macht, was nur allzu gerne als psychologische Konstellation gedeutet wird. Zugleich gelingt es ihm ungleich besser, das Beharrungsvermögen traditionaler Geschlechterverhältnisse herauszuarbeiten als diejenigen Ansätze, die sich mit der rhetorischen Rede vom „Patriarchat“ eben jener „Gleichheitsmoral“ bedienen, die der so wirksamen Kluft zwischen Idee und Geste zugrunde liegt. D.h. auch traditionelle Rollen und Konstellationen werden von den Beteiligten selbst interaktiv hervorgebracht und treten ihnen nicht als etwas Drittes entgegen. Wichtig ist die Arbeit aber auch, weil sie in den Paarbeziehungen die Funktion der Reflexion und ihre Möglichkeiten und Grenzen untersucht, woraus sich zugleich Möglichkeiten und Grenzen der therapeutischen Arbeit ableiten lassen.
(Erstveröffentlichung in Familiendynamik 3/1997)
(*) Mittlerweile liegen bei UVK eine ganze Reihe seiner Bücher in Deutsch vor (Tom Levold)
Eine weitere Rezension in single-generation.de
Hausfrauenblues. Ein kleines Interview mit Jean-Claude Kaufmann in passerelle.de
Verlagsinformation:
Jean-Claude Kaufmann ist Experte des Alltäglichen, dem er sich in anspruchsvollen Betrachtungen und mit Liebe zum Detail widmet. Dieses Buch ist der Beginn einer ganzen Reihe ins Deutsche übersetzter Studien zur Soziologie der Geschlechter. Jean-Claude Kaufmann nimmt hier den Umgang mit der leidigen Wäsche zum Anzeiger des Selbstverständnisses und der Rollenteilung, als Spiegel eines ständigen Balanceakts auf dem Hochseil der Irrungen und Wirrungen des Lebens zu zweit.
Über den Autor:
Jean-Claude Kaufmann ist Soziologe am Centre National de la Recherche Scientifique der Universität Paris V - Sorbonne.
Bei UVK erschienen bisher folgende Bücher von Jean-Claude Kaufmann in deutscher Übersetzung: Das verstehende Interview. Theorie und Praxis Der Morgen danach. Wie eine Liebesgeschichte beginnt Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität Frauenkörper - Männerblicke. Soziologie des Oben-ohne Kochende Leidenschaft. Soziologie vom Kochen und Essen Mit Leib und Seele. Theorie der Haushaltstätigkeit Schmutzige Wäsche. Ein ungewöhnlicher Blick auf gewöhnliche Paarbeziehungen Singlefrau und Märchenprinz. Über die Einsamkeit moderner Frauen
Inhalt:
Einführung 7 Grundgewebe 17 Erster Teil Das Entstehen eines Paares Die Weitergabe von Handlungsweisen 35 Die Jugend gegen das Häusliche 49 Integration: Haushalten und Zusammenwachsen 69 Zweiter Teil Das rekonstituierte Individuum Paar und Individuum 125 Persönlichkeitsfragmente und Interaktionsspiele 143 Dritter Teil Anpassungen und Widersprüche in der Paarbeziehung Die Idee der Gleichheit 173 Das Kapital an Handlungsweisen 185 Selbsthingabe und Schuldenrechnung 199 Schweigen und Sprechen 223 Zwischen Lachen und Weinen 243 Vierter Teil Männer und Frauen Der Werdegang der Frau: Die Falle 257 Der Werdegang des Mannes: Der schuldbewußte Schüler 279 Schluß 291 Biographischer Lektüreführer 297 Literatur
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