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27.01.2005
Arist von Schlippe, Willy Christian Kriz (Hg.) Personzentrierung und Systemtheorie. Perspektiven für psychotherapeutisches Handeln.
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1. Auflage 2004
307 Seiten, kartoniert mit 24 Abb. und 3 Tab.
ISBN 3-525-49078-X
Preis 24,90 € |
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Vandenhoeck & Ruprecht
Verlagsinfo: Dieser Band
bringt zum ersten Mal zwei Strömungen zusammen, die in der modernen
Psychotherapie eine zentrale Rolle spielen. Das praktische Vorgehen von
personzentriert-humanistischen und systemwissenschaftlich fundierten
Therapieansätzen erscheint auf den ersten Blick sehr unterschiedlich.
Doch finden sich grundlegende Gemeinsamkeiten, wenn man die ihnen
zugrunde liegenden Prämissen betrachtet. Wie kein anderer hat Jürgen
Kriz Verbindungen zwischen personzentrierten und systemischen
Konzeptionen in Theorie, Forschung und Praxis aufgezeigt. Aus Sicht der
von ihm entwickelten »personzentrierten Systemtheorie« werden sowohl
die seelische als auch die soziale Wirklichkeit des Menschen am
angemessensten mit Begriffen wie »Selbstorganisation«, »Dynamik« und
»Nichtlinearität« beschrieben. Für die Psychotherapie bedeutet das,
Vorstellungen von zielgerichteter und gesteuerter Veränderung von
Menschen aufzugeben und stattdessen therapeutische Prozesse so zu
gestalten, dass die Randbedingungen für konstruktive
Selbstorganisationsprozesse bereitgestellt werden. Dies ist eine
Aufgabe, die höchste professionelle Ansprüche stellt, wie die
vielfältigen Beiträge des Bandes anschaulich illustrieren.
Inhalt:
Kriz, Jürgen: Personzentrierte Systemtheorie - Grundfragen und Kernaspekte, S. 13-67.
Haken, Hermann: Ist der Mensch ein dynamisches System, S. 68-77.
Tschacher, Wolfgang: Kognitive Selbstorganisation als theoretische Grundlage eines personzentrierten Ansatzes, S. 78-101.
Greif, Siegfried: Wie sich das ganz normale Chaos beim Handeln selbst organisiert, S. 102-117.
Runde, Bernd: Coaching als synergetischer Prozess, S. 118-133.
Walter, Hans-Jürgen P.: Zur kartographischen Differenzierung des Ich, S. 134-152.
Slunecko, Thomas: Man muss heute Kybernetiker werden, um Humanist bleiben zu können, S. 153-176.
Längle, Alfried: Person, System und Sinn - Existenz zwischen Chaos und Ordnung, S. 177-191.
Eckert, Jochen, & Biermann-Ratjen, Eva-Maria: Zur Notwendigkeit
einer differentiellen Indikation für Psychotherapie, S. 192-211.
Schweitzer, Jochen: Das Präparat "Therapie": Nebenwirkungen,
Langzeitfolgen, Alternativpräparate. Systemische Bemerkungen zur
Therapeutisierung von Pädagogik, Sozialer Arbeit und
Unternehmensberatung, S. 212-227.
Welter-Enderlin, Rosmarie: Therapeutische Begegnung: Verstehen von
Lebenspraxis, Erschließen von Sinnwelten und affektive Rahmung, S.
228-240.
Hildenbrand, Bruno: Die Therapie im Zeitalter ihrer technischen
Reproduzierbarkeit: Prolegomena zu einer Kritik der Leitlinienpolitik,
S. 241-251.
Schiepek, Günter: Synergetisches Prozessmanagement - ein Beitrag zu Theorie und Praxis der Psychotherapie, S. 252-268.
Knill, Paolo: Chaos, Hoffnung und Kunst. Die Teleologie der Imagination
im künstlerischen Tun aus therapeutischer Sicht - ein Plädoyer für die
Entwicklung von Sinnattraktoren durch die Sinne, S. 269-284.
Epstein, Eugene K., & Wiesner, Manfred: Krizeleien - ein schöpferisches Chaos ohne Angst vor Ordnung, S. 285-302.
Wolfgang Loth, Bergisch Gladbach:
Zum 60. Geburtstag von Jürgen Kriz haben die beiden
Herausgeber eine bemerkenswerte Publikation auf den Weg gebracht. Mehr
als ein Dutzend AutorInnen tragen zu einem Kaleidoskop von
Überlegungen, Anregungen und neuen Fragen bei, die sich im weitesten
Sinn um das Thema sortieren, wie im Durcheinander des Lebendigen
Strukturen gedeutet, erfunden und nutzbar gemacht werden, und dies auf
eine Art und Weise, die sowohl der Komplexität des Lebendigen gerecht
wird als auch den Nöten und Hoffnungen des erlebenden Einzelnen. Es ist
unbestritten ein Verdienst von Jürgen Kriz, in den je nach Lage
euphorisierenden oder verwirrenden „Heurekas“ systemtheoretisch
abgeleiteter Ordnungsdeutungen dafür zu sorgen, die individuell
erlebende Person nicht aus dem Blick zu verlieren. Daher auch Person-
und nicht Personenzentrierung: „Jede Kommunikation muss (...) stets
durch das ‚Nadelöhr‘ persönlicher Wahrnehmungen, Sinndeutungen – kurz:
Narrationen -, bevor eine andere „Kommunikation ‚anschließt‘“ (S.47),
Kriz beschreibt somit Systeme in erster Linie als subjektiv gedeutete
und erlebte Systeme, ein Ansatz, der ihn zu einer klaren (und manchmal
heftig vorgetragenen) Kritik an differenztheoretischen
Systemkonstrukten im Sinne Luhmanns führt. Dabei erscheint der
humanistisch fundierte Ansatz Kriz‘ erst einmal in keiner Weise
„tröstlicher“ als etwa Luhmanns messerscharfe Argumentation. Im
Gegenteil, sie erfordert ebenfalls die Bereitschaft, sich mit einem
komplexen Begriffsinstrumentarium auseinanderzusetzen und auf
naturwissenschaftlich abgeleitete Abstraktionen Bezug zu nehmen. Sein
zusammenfassender Überblick über „Grundfragen und Kernaspekte“ der
Personzentrierten Systemtheorie macht das trotz seiner guten Lesbarkeit
klar. Kriz macht nicht weniger Arbeit als Luhmann, allerdings macht das
„Mut“ in seinen Zumutungen einen anderen Sinn. Eine Übertragbarkeit zu
Fragen der Unausweichlichkeit und Möglichkeit persönlicher
Verantwortung ergibt sich wie von selbst. Jürgen Kriz gehört zu den Mut
machenden Mahnern.
Die zu Person und Werk Jürgen Kriz‘ korrespondierenden Beiträge der
anderen AutorInnen umfassen ein weites Feld. Versammelt sind unter
anderem Diskussionen aus dem Bereich der Theorie komplexer dynamischer
Systeme und Synergetik, aus dem Bereich (Psycho-)Therapie und
Psychotherapieforschung, und zu den Friktionen im Hinblick auf
Handlungssteuerung in der Arbeitswelt. Auch andere Beiträge stehen für
entsprechend Interessierte zur Verfügung, etwa ein existenzanalytischer
Beitrag zum Spannungsfeld Chaos und Ordnung. Deutlich wird, wie sehr
Jürgen Kriz mit seinen Arbeiten und sicher auch mit seiner Person in
die „Szene“ hinein wirkt, Günter Schiepek etwa beginnt seinen Beitrag
zum „Synergetischen Prozessmanagement“ mit einem langen Zitat von Kriz,
in dem dieser ein extensives Anforderungsprofil für das skizziert, was
Systemtheorien sinnvoll zu berücksichtigen und zu verknüpfen hätten.
Deutlich wird jedoch auch, wie weit über die Szene hinaus Jürgen Kriz
anregt.
Nicht alle Beiträge lesen sich so amüsant und unmittelbar
nachvollziehbar wie der von S. Greif, der mit Beispielen aus der
Arbeitswelt darüber nachdenkt, „Wie sich das ganz normale Chaos beim
Handeln selbst organisiert“. Mancher der anderen Beiträge klingt
ambitioniert und weit reichend (Tschacher, Schiepek, die im übrigen
keinen Bezug aufeinander nehmen). Tschacher diskutiert, wie er
„Kognitive Selbstorganisation als theoretische Grundlage eines
personzentrierten Ansatzes“ sieht und gewichtet. Schiepek skizziert
sein Konzept „Synergetisches Prozessmanagement“ und lässt erahnen, wie
unter Einsatz neuester Technik die individuelle Person auf dem Umweg
über deren Abstraktion im Rahmen einer Vielzahl von Messungen wieder
ins Zentrum kommt. Mir erscheint der Ansatz plausibel und viel
versprechend, doch dürfte es noch etwas Mühen kosten, den Charme eines
„real time monitoring“ an den einer echtzeitlichen persönlichen
Begegnung heran zu führen (ob es wohl damit zusammen hängt, dass die
Herausgeber in diesem Beitrag einmal das Wort „personenzentriert“ haben
durchgehen lassen?). Was
hier anklingt, ist die Bedeutung von erlebter Beziehung in ihren
Auswirkungen für das therapeutische Geschehen. Hierzu setzen Eckert
& Biermann-Rathjen einen grundsätzlich zu Schiepek passenden, aber
in Theorie und Praxis klar unterschiedlich eingebetteten Akzent. Die
AutorInnen unterstreichen in ihrem lesenswerten Beitrag die
„Notwendigkeit einer differenziellen Indikation für Psychotherapie“.
Eine Vielzahl neuerer Forschungsergebnisse lässt sich (vorsichtig
formuliert) so zusammenfassen: „Je weniger die
Erfahrungsbereitschaften des Patienten und das konkrete therapeutische
Beziehungsangebot einander widersprechen, umso günstiger ist das für
einen Erfolg versprechenden Therapieprozess“ (S.205). Das ist sicher
keine Zauberformel, verweist jedoch zwingend auf die Notwendigkeit,
das Erleben der Person zu berücksichtigen, der ein Hilfeangebot gilt
und sich darauf einzustellen. Letzteres verweist für meine Begriffe
dann auch darauf, dass Personzentrierung nicht nur das Berücksichtigen
des Anderen als Person meinen kann (also keine Objektivierung des
Personbegriffs), sondern auch die selbstreflexive Auseinandersetzung
mit der eigenen Person. Sich auf einen anderen einzustellen ist
schließlich kein trivialer Akt. Am meisten hat mich gefreut, wie es
wirkt, wenn ein wirklich souveräner Meister mit geradezu bescheiden
anmutenden wenigen Worten ein weites Feld auf einige grundlegende
Punkte bringt, dabei wie beiläufig entscheidende Unterschiede in den
Begrifflichkeiten aufzeigt (die - wie mir scheint - auch in diesem Buch
gelegentlich vermengt werden), und sowohl den großen Nutzen des
Lebenswerks aufzeigt als auch selbstverständlich eingrenzt auf einen
begründeten Phänomenbereich. Hermann Haken, der Begründer der
Synergetik, macht es uns (wieder einmal) vor. Er doziert nicht über
Grundlagen, sondern gibt zwei „kurze Erinnerungen“ an die Theorie
dynamischer Systeme und an die Synergetik. Der Unterschied zwischen
beiden wird friedlich deutlich. Und in der Bereitschaft der Synergetik,
„von vorne herein das Zu-fallsmoment“ mit zu berücksichtigen, liegt
vielleicht sowohl die Einsicht begründet, dass sich bei „Anwendungen
der Synergetik auf Psychologie, Soziologie und verwandte Gebiete (..)
auch fundamentale Grenzen auftun“ (S.73) als auch ein Blick über den
Tellerrand: „Die Ergebnisse der Synergetik lassen nicht nur Spielraum
für feine menschliche Zwischentöne, für Empathie, sondern sie zeigen
auch direkt deren Notwendigkeit auf“ (S.75). Und schließlich: „All dies
führt uns auf die schon längst von Jürgen Kriz gewonnenen Erkenntnisse
zurück“ (S.76). Was dieses Buch auf’s Beste dokumentiert. Bleibt,
Jürgen Kriz zu wünschen: Ad multos annos!
Website der Herausgeber: Arist von Schlippe, Willy Christian Kriz
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