Start
Bücher
Neuvorstellungen
kurz vorgestellt
Klassiker
Vorabdrucke
Zeitschriften
Familiendynamik
Konfliktdynamik
Journ. of Fam.Ther.
Family Process
Kontext
OSC
perspekt. mediation
Psychoth. im Dialog
Psychother.Soz.Wiss.
rpm
Soziale Systeme
systeme
System Familie
systhema
ZSTB
Links
Beiträge
Feldpost
Salon
Interviews
Nachrufe
Glossen
Luhmann-Special
Kongressgeschichten
"Das erste Mal"
Begegnungen
Blinde Flecke
Mauerfall 1989
Von Klienten lernen
Bibliothek
edition ferkel
Berichte
Nachrichten
Kalender
Newsletter
Konzept
Institute
Info
Autoren
Kontakt
Impressum
Druckversion Druckversion
Copyright © 2013
levold system design
Alle Rechte vorbehalten.
systemagazin logo

Klassiker zur Übersicht
Selvini Palazzoli, Mara, Luigi Bosocolo, Gianfranco Cecchin, Giuliana Prata
Paradoxon und Gegenparadoxon. Ein neues Therapiemodell für die Familie mit schizophrener Störung
Selvini: Paradoxon Klett-Cotta 1999 (Erstauflage 1977)

kartoniert, 166 S.
ISBN: 3608953752

Preis: 18,00 €
Ingeborg Rücker-Embden-Jonasch (2000): "Spannender Klassiker systemischer Interventionen"

Arist von Schlippe
(2000): "Hier gab es neben dem Satir'schen neues Handwerkszeug. Bis heute bin ich damit nicht „warm“ geworden, aber die Analysen und therapeutische  Beschreibungen üben ebenfalls bis heute eine große Faszination auf mich aus"

Michael Wirsching
(2000): "Der Wendepunkt"


Tom Levold: Eine gute Nachricht - Das Buch ist nach wie vor erhältlich. Die zweite gute Nachricht: Der Titel ist in allen Literaturlisten enthalten, die einen Überblick über die Geschichte der systemischen Therapie zu geben versuchen. Eine Internet-Recherche ergibt zum Suchbegriff "Paradoxon und Gegenparadoxon" 630 Einträge (am 9.3.05), in Englisch unter "Paradox and Counterparadox" ähnlich viele. Aber es scheint im Internet keine inhaltliche Würdigung dieses maßgeblichen Meilensteins der Entwicklung von der Familientherapie zur systemischen Therapie zu geben.  Das lässt sich ändern, wenn Sie Ihre persönlichen Erfahrungen mit Ihrer Lektüre dieses Buches aus der Erinnerung oder der erneuten Lektüre oder aus welchem Zusammenhang auch immer dieser Seite beisteuern - schreiben Sie mir einfach.

Bis auf Weiteres halte ich mich an das "Lehrbuch der systemischen Beratung und Therapie" von Arist von Schlippe und Jochen Schweitzer:

"Der Begriff 'Mailänder Modell' ist eng verbunden mit den Namen von vier Therapeuten, die 1975 mit einem aufsehenerregenden Buch an die Öffentlichkeit traten, 1977 erschien es auf deutsch: 'Paradoxon und Gegenparadoxon'. Das Buch beschreibt ein Therapiemodell von Familien mit schizophrenen Mitgliedern, das von der Kürze des Vorgehens und von der - behaupteten - Effektivität her alles in den Schatten stellte, was es bisher an Ansätzen in dem Bereich gab. Die vier Mitglieder der Mailänder Arbeitsgruppe waren Mara Selvini Palazzoli, Luigi Boscolo, Gianfranco Cecchin und Guiliana Prata.
Die hervorstechenste Persönlichkeit war dabei zweifellos Mara Selvini Palazzoli. Sie stammte aus einer wohlhabenden Mailänder Familie und erlebte eine Erziehung, die durch Distanz geprägt war - emotionales Zentrum waren für sie über lange Zeit ihre Amme und die Gouvernanten. Sie selbst beschreibt ihre Familie als 'nicht glücklich' und erzählt, dass sie in ihren Therapien oft an diese ihre Ursprungsfamilie denke. … Im Mai 1967 gründete sie in Italien das erste familientherapeutisch orientierte Zentrum und schloss sich nach einer längeren Anfangsphase 1971 mit den drei anderen (Boscolo, Cecchin, Prata) zusammen, die wie sie Ärzte und
ausgebildete Psychoanalytiker waren und ebenfalls bereit, das Bezugssystem der Analyse zu verlassen. … Das Mailänder Team versuchte schon früh, einen 'kybernetischen Konstruktivismus' zu verwirklichen. Motive, Gefühle, Bedürfnisse und Konflikte wurden als Konstrukte einer überkommenenen Epistemologie betrachtet. Familie wird gesehen als regelgeleitetes System: Wie bei jeder anderen Gruppe auch entwickeln sich in einer Familie im Lauf der Zeit Regeln, die die Verhaltensspielräume der einzelnen beschreiben und begrenzen. Im Fall einer Familie mit klinischen Problemen ist in diesem Prozess ein System entstanden, das sich über Transaktionen reguliert, die genau auf die jeweilige Symptomatik zugeschnitten sind, die beklagt wird: 'Die Macht liegt in den Spielregeln', (Paradoxon und Gegenparadoxon, S. 15). Daher ist jedoch eine Veränderung - so sehr die Familie leidet - nicht im Interesse der Familie, denn das 'Spiel' muss weitergehen; dies ist die Paradoxie, mit der die Familie die Therapeuten konfrontiert: 'Ändert uns, ohne uns zu ändern!' - und die mit dem 'Gegenparadoxon' beantwortet wird … 'Wir können Euch nur unter der Bedingung ändern, dass Ihr Euch nicht ändert!'.
… Für den Therapeuten ist es von entscheidender Bedeutung, ob es ihm gelingt, sich aus dem Spiel herauszuhalten, denn 'derjenige, der das Spiel mitspielt, hat es schon verloren' (ebd., S. 47). Da das Spiel die ganze Familie in einem Paradoxon gefangenhält, entwickelten die Mailänder in den 70er Jahren die bereits erwähnte Technik des Gegenparadoxons, um solchen Familien zu helfen: Verschreibungen, die auf verschiedenen Ebenen in sich paradox sind und es so der Familie unmöglich machen, das Spiel nach den bisher gültigen Regeln weiterzuspielen. … Die zum Teil minutiös ausgearbeiteten Verschreibungen, die oft völlig verblüffende Umdeutungen der Familiensituation darstellen, haben das Mailänder Team weithin bekannt gemacht. Später berichteten sowohl Selvini Palazzoli als auch Boscolo und Cecchin, dass sie die Paradoxie als Interventionstechnik wesentlich seltener einsetzten …, da deutlich wurde, welche verändernde Kraft bereits im zirkulären Fragen und in den Kommentaren steckt, die allein über die Fragetechnik die Familie mit einer neuen Sichtweise konfrontieren." (S. 26 - 31).







Den beste Einstieg in ein Verständnis der Konzeption des Mailänder Teams zum Ende der 70er Jahre bietet m.E. ein Interview, das Klaus G. Deissler, damals Initiator, Herausgeber und Redakteur des Kontext, dem zunächst mehr als interner Mitglieder-Rundbrief konzipiertes Informationsblatt der 1978 gegründeten Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Familientherapie DAF, für die Zeitschrift 1979 mit Mara Selvini geführt hat. Dieses ausgesprochen aufschlussreiche Interview ist
der Nachwelt lobenswerterweise durch die Initiative von Klaus G. Deissler erhalten geblieben undfür das Internet in einem Sammelband unterschiedlicher Beiträge aufbereitet worden.
Lesen Sie hieraus das Interview mit Mara Selvini Palazzoli:



Das Mailänder Modell
Ein Interview mit Mara Selvini Palazzoli


"Work innovatively toward synthesis of new ideas, but expect no encouragement until after you have made a success". H.C. SHANDS

Vorwort von Klaus Deissler

Während meines Besuches im „Centro per lo studio della Famiglia“ in Mailand habe ich am 10.4.1979 für die Informationsblätter der DAF2 "KONTEXT" das folgende Interview geführt. Nach den Gründen für dieses Interviews gefragt, möchte ich folgendes antworten: Im deutschen Sprachraum herrschen durch verschiedene Entwicklungsprozesse bedingt psychoanalytische und / oder psychiatrische Denk - und Handlungsmodelle vor, die man in ihrer Überzahl vom therapeutischen Ansatz her als „sozial-atomistisch“ bezeichnen kann. Diese Modelle zeichnen sich dadurch aus, daß sie hinsichtlich des Verständnisses menschlicher Probleme „ego-zentri-petal“ angelegt sind. Dies heißt verkürzt gesprochen: Gemäß dem zugrunde liegenden „medizinischen Modell“ werden fast alle menschlichen Probleme als Probleme von Individuen angesehen; (diese Betrachtungsweise herrscht z.Zt. in allen psychosozialen Berufsgruppen vor). Durch dieses geistige Konstruktionsprinzip werden Individuen losgelöst von ihrem natürlichen - d.h. ökosystemischen - Kontext betrachtet und damit künstlich „isoliert“, darüber hinaus werden die betreffenden Individuen hinsichtlich psychiatrischer „Gesundheits- / Krankheitslehre kategorisiert“ und schließlich - je nach therapieprognostischem Wert der psychiatrischen Kategorie - therapiert oder „verwahrt“. Dieses Vorgehen hat verschiedene Konsequenzen: Es verschleiert die gesellschaftliche Funktion des Kategorisierenden, blendet das gesamte systemische Wirkungsgefüge, welches die Basis der jeweiligen Probleme darstellt, aus und stellt damit eine Selbstbehinderung psychotherapeutischer Arbeit dar. Ich hoffe durch dieses Interview wird deutlich, daß es echte Alternativen zu dem kurz skizzierten „medizinischen Modell“ gibt und welcher ungeheuren Anstrengung es bedarf, solche Alternativen umzusetzen und sie in der Praxis durchzuhalten: Das Mailänder Modell stellt für mich eine der wenigen zukunftsweisenden systemischen Alternativen dar. Zu den formalen Aspekten des Interviews möchte ich folgende Informationen geben: Die Fragen wurden von Herrn Hans-Friedrich Kraa (Marburg) ins Italienische übersetzt und direkt an Frau Selvini gerichtet. Frau Selvini antwortete in englischer Sprache - Zusatzfragen wurden von mir ebenfalls in Englisch gestellt. Die Rückübersetzung und Redaktion wurde vom Interviewer selbst vorgenommen. Die Gesamtdauer des Interviews betrug ca. 1 1/2 Stunden. Abschließend möchte ich mich bei der „Familientherapeutischen Arbeitsgemeinschaft Marburg (fam) e.V.“ für die Beteiligung an den Dolmetscherkosten bedanken. (Für die Redaktion des KONTEXT Klaus G. Deissler)

Interview:

Klaus Deissler (kursiv): Frau Selvini, Sie sind eine der bekanntesten Familientherapeuten Europas, wie sind Sie zur Familientherapie gekommen?

Mara Selvini Palazzoli: In einer bestimmten, ganz anderen Weise als meine Kollegen - nicht nur zur Familientherapie, sondern auch zur Psychiatrie: Ich war Internist, ein Praktiker der Allgemeinmedizin an der Universität von Mailand. Dort sah ich zum ersten Mal anorektische Patienten, und ich bemerkte in den fünfziger Jahren, daß es unmöglich war, diese Patienten medikamentös zu behandeln und daß es sich dabei sicherlich um psychologische Probleme handelte. Nachdem ich mich auf innere Medizin spezialisiert hatte, beschloß ich aus diesem Grund, mich auf Psychiatrie zu spezialisieren und mich in Psychoanalyse auszubilden - lediglich, um die Anorexie zu verstehen, weil ich an diesem Problem sehr interessiert war. Ich wurde psychoanalytisch ausgebildet bei Professor Benedetti in Basel. Er kommt aus Sizilien und leitet das Institut für Psychotherapie in Basel. - 1963 schrieb ich mein erstes Buch: „Anorexia Mentale 3 “, das von Feltrinelli verlegt wurde - Feltrinelli war immer mein Verleger. Danach gründete ich eine Gruppe hier in Mailand. Diese wollte Psychotherapie in das psychiatrische Krankenhaus einführen - natürlich mit dem psychoanalytischen Modell ausgerüstet. In den Jahren 1964-65 geriet ich in eine Krise, weil ich den Eindruck gewann, daß die Psychoanalyse kein gutes Instrument sei. Zu wenig Patienten konnten behandelt werden, die Behandlung war sehr teuer und die Ergebnisse waren mager, ärmlich. Ich habe damals ca. 6o anorektische Patienten behandelt: Die Ergebnisse waren nicht sehr gut, die entsprachen nicht den enormen Anstrengungen und dem Zeitaufwand, den ich diesen Patienten widmen mußte. Aber der „Tropfen“, der meine volle Krise auslöste, war eine Serie sehr interessanter Aufsätze, die von Lyman Wynne und Margret Thaler Singer 1963 veröffentlicht wurde. Ich las diese Aufsätze jedoch erst 1965. Der Titel der Aufsätze lautet „Thought Disorders and Family Relations of Schizophrenics“3 . Nachdem ich diese Aufsätze gelesen hatte, begann ich alle Aufsätze zu lesen, die damals veröffentlicht wurden und die Familien von Schizophrenen betrafen: Ich geriet also in eine entscheidende Krise, und innerhalb einer sehr kurzen Zeit entschied ich, daß es für mich nicht mehr aufrichtig war, Psychoanalytiker zu sein, weil ich überzeugt war, daß der Weg falsch war. Deshalb entschloß ich mich innerhalb einer Woche, meinen Beruf aufzugeben. Ich wollte lediglich die Fälle beenden, die ich begonnen hatte - es wäre nicht aufrichtig gewesen sie im Stich zu lassen - aber ich nahm keine neuen Fälle mehr an. Meine Haushälterin hatte damals den Auftrag, wenn jemand um einen Termin bitten sollte, mitzuteilen: „Dr. Selvini hat ihren Beruf aufgegeben.“ Ich wurde damals sehr kritisiert von Psychoanalytikern - jeder lachte über mich: „Die ist verrückt“ usw. - Aber ich war sehr überzeugt von meinen Ideen. Ich gab also meinen Beruf auf und begann mit Familientherapie. 1967 gründete ich das erste Zentrum für Familientherapie. Wir waren sehr arm, ich hatte kein Geld. Dieses Zentrum befand sich in einem Keller, einer Art Katakombe. Dort traf ich die ersten Familien. Danach ging ich in die Staaten - nur für kurze Zeit: Ich hielt mich insbesondere in Philadelphia auf, dort war ich sehr unglücklich, denn ich ging zum Institut von BoszormenyiNagy und Framo: Sie verwandten das psychoanalytische Modell. - Als ich zurückkam, schlugen alle Bemühungen fehl. Deshalb entschied ich, daß die Psychoanalyse nicht das richtige Modell sei und daß es notwendig sei, das systemische Modell zu wählen. Wir entschlossen uns damals, Dr. Watzlawick für ein paar Tage einzuladen, um zu entscheiden, daß wir unsere Richtung geändert hatten. Unsere Anstrengungen bestanden also darin, absolut kohärent mit dem Modell zu werden, das wir gewählt hatten, die Psychoanalyse in eine Schublade zu stecken und sie zu vergessen. Die Psychoanalyse war für mich eine sehr wichtige „Ausbildung“, ich habe über 15 Jahre mit diesem Modell gearbeitet. Ich hatte eine sehr gute Ausbildung bei Professor Benedetti. Ich hatte keine Angst, von meinen Klienten an der Nase herumgeführt zu werden, und ich lernte auch die nonverbale Sprache zu verstehen - das Verhalten als Kommunikation usw.. Aber bedingt durch das psychoanalytische Modell war ich für eine gewisse Zeit gezwungen, das „lineare“ Modell anzuwenden und dementsprechend zu denken: Z.B. dieser Vater ist ein Krimineller, diese Mutter ist die Ursache von allen Schwierigkeiten. Danach mußten wir jedoch die gesamte Kraft des Teams zusammennehmen, um einen Sprung zu vollziehen, damit wir das systemische bzw. zirkuläre Modell erreichen konnten - das war ein extrem schwieriges Unterfangen. Deshalb hatte ich auch so viele Schwierigkeiten mit dem Team, denn ich gründete das Team, als wir das psychoanalytische Modell benutzten. Nachdem ich mich entschloß, die Psychoanalyse aufzugeben, um mir das systemische Modell zu eigen zu machen, kam es zu Auseinandersetzungen im Team, was schließlich dazu führte, daß 4 Mitglieder des Teams weggingen. Ich blieb zurück mit dem jetzigen Team: Dr. Boscolo, Dr. Cecchin und Dr. Prata. Die anderen Mitglieder verließen das Team, weil sie das psychoanalytische Modell nicht aufgeben wollten. Ende 1971, Anfang 1972 begannen wir unsere Forschungen mit diesem Programm, um schizophrene Familien zu behandeln. Die Erfahrungen aus dieser Zeit sind in dem Buch „Paradoxon und Gegenparadoxon“ dargestellt. Wir behandelten auch viele anorektische Familien usw.. Die Anstrengungen waren jedoch absolut schrecklich, weil wir jeden Augenblick in das lineare Modell zurückfielen, jeden Moment stellten wir fest, daß wir kausal dachten und nicht systemisch. - Heute bin ich überzeugt, während jeder proklamiert: „Ich bin systemisch“ - Minuchin sagt: „Ich bin systemisch“, Selvini sagt: „Ich bin systemisch“ - ist niemand wirklich systemisch: Es ist unmöglich, wirklich systemisch zu denken, weil wir die Sprache benutzen und die Sprache ist linear. Wir sind also nur in bestimmten mystischen Augenblicken systemisch, und diese Augenblicke sind sehr kurz. Deshalb fallen wir immer wieder in das kausale Modell zurück. Im Alltagsleben müssen wir sogar kausale Modelle benutzen: Wenn mich z.B. jemand tritt, kann ich nicht sagen: „Ich will das jetzt mal systemisch sehen“ - ich muß ja reagieren und sage dann vielleicht: „Du Schuft!“ usw.. Deshalb ist die ganze Sache sehr, sehr schwierig. Wenn man weint, weint man. Es ist unmöglich weinen nachzuahmen. Manchmal bin ich also ein wenig systemisch, es ist jedoch unmöglich, vollständig systemisch zu sein. Deshalb ist es unmöglich, ununterbrochen im zirkulären Modell zu denken. Aus diesem Grund haben wir uns, nachdem wir „Paradoxon und Gegenparadoxon“ geschrieben haben, dem Erfinden von Instrumenten und Kunstgriffen oder einigen Richtlinien gewidmet, die uns zwingen, im zirkulären Modell zu denken.

Gibt es Personen, denen Sie in praktischer und theoretischer Hinsicht verpflichtet sind?


Wen meinen Sie mit dieser Frage?

Ich denke in erster Linie an Bateson, vielleicht kann ich noch Watzlawick nennen.

Ja, ich habe einen Gott: Gregory Bateson. Ich denke, daß Gregory Bateson der Genius Maximus der Humanwissenschaften ist. - Watzlawick ist ein sehr guter Wissenschaftler. Er hat das unsterbliche Verdienst, die Arbeiten von Palo Alto in „Pragmatics of human Communication“ 6 gesammelt zu haben, aber er ist kein origineller Denker. Der Genius ist Gregory Bateson, der zweite ist Jay Haley, der dritte Don Jackson und Stop! Nach meiner Meinung liegt der Schlüssel für das systemische Denken in „Steps to an ecology of mind“ 7 . Ich habe erfahren, daß Bateson an Krebs erkrankt ist - man sagte, er würde bald sterben, aber inzwischen soll es ihm besser gehen. Bateson hatte die Absicht, ein weiteres Buch zu schreiben: „Mind and Nature - An Unseparable Unit“ 8 es ist noch nicht erschienen. Aber Gregory Bateson ist nach meiner Meinung ein so schwieriger Autor, ein so schwieriger Schriftsteller - er denkt ständig auf der Meta-, Meta-, Meta-, Meta-Ebene, deshalb ist es unmöglich, ihn zu verstehen. Meiner Meinung nach hat er eine mystische Intuition davon, wie zirkulär unser Leben ist, daß unsere Lebensrealität zirkulär ist. Für uns ist es unmöglich, das nachzuvollziehen. „Steps to an Ecology of Mind“ ist kein Buch, das man einfach liest - man muß es lesen und lesen und nochmals lesen und darüber meditieren, meditieren und wieder lesen - vielleicht 100 mal. In diesem Buch liegt also der Schlüssel. Wenn man von diesem Punkt ausgeht, ist es notwendig, genau diesen Weg weiterzugehen, denn Bateson ist der richtungsweisende Denker, der den richtigen Weg zeigt. Bateson war es ja, der die geniale Idee hatte, das die Familie ein System sei. Bateson hat auch die kybernetischen Gedanken entwickelt, daß das Programm, nach dem eine Familie funktioniert, vergleichbar ist mit dem Programm eines Computers. Wenn man das Programm eines Computers verändert, ändert sich die Arbeitsweise des Computers. Wenn man das Programm einer Familie, das sich aus Regeln zusammensetzt, ändert, ändert sich die Familie. - Nehmen wir z.B. die Familie die gestern da war: Bei dieser Familie habe ich die Regeln verändert - viele, viele Regeln, ohne es zu erklären; z.B. wenn ich ein Familienmitglied frage: „Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Ihrer Mutter und Ihrem Vater, zwischen Ihrem Vater und Ihrer Großmutter, zwischen Ihrer Schwester und Ihrem Vater ?“ - dann breche ich eine Regel, weil es in dysfunktionalen Familien verboten ist, in Gegenwart der anderen Beziehungen zu kommentieren - metazukommunizieren. Und am Ende der Sitzung habe ich gegen eine weitere Regel verstoßen: In dieser Familie war es nämlich verboten, über Beziehung zwischen der Großmutter und ihrem Sohn zu sprechen, über deren Koalition - nicht etwa über die Beziehung Tochter und Großmutter - denn der Vater war Priester, und er haßt Frauen, und er benutzt seine Mutter, um gegen seine Frau vorzugehen - das ist ganz typisch für eine solche Horrortype von Mann. Aber wenn ich es so begründe, riskiere ich, die ganze Sache kausal zu begründen - aber es ist eben nicht kausal, denn die Ehefrau ist ebenfalls in das Spiel involviert. Sie ist kein Opfer, sie macht mit. Sie können also sehen, wie kompliziert das Ganze ist. Um auf unseren Ausgangspunkt zurückzukommen: Der Weg wurde von Gregory Bateson bereitet.

Genauso schätze ich es ein.- Bateson ist der Begründer dieser Denkmodelle. Aber lassen Sie mich etwas anderes feststellen: Minuchin scheint Bateson zu mißachten ...

... vollständig! - Ich mag Minuchin als Mann sehr: Wir hatten zwei schreckliche Auseinandersetzungen, aber wir mögen einander - sehr sogar. Ich mag ihn, ich weiß nicht warum - ich nehme an, er mag mich. Ich traf Minuchin zum ersten Mal 1977 in New York. Dort zeigte man viele Videoaufnahmen von unseren Sitzungen, die im Ackerman-Institut aufgenommen wurden. Minuchin kam von Philadelphia und sah sich diese Bänder an. Danach hatten wir eine schreckliche Diskussion, und er sagte zu mir: „Dr. Selvini, ich weiß nicht, ob Sie ein Familientherapeut sind oder nicht, ob Sie Erfolge haben oder nicht, weil wir andauernd davon sprechen, Forschungen zu betreiben. Sind Sie ein Familientherapeut oder nicht?“ Ich antwortete: „Ich bin kein Familientherapeut. Ich bin sicher, daß ich kein Familientherapeut bin“. - Er war perplex und ich fuhr fort: „Ich forsche danach, was Familientherapie ist, denn ich weiß nicht, was Familientherapie ist.“ Und paradoxerweise - sehen Sie - fügte ich hinzu: „Ich benutze etwas, das ich Familientherapie nenne, um zu wissen, was Familientherapie ist. Aber ich weiß es nicht ... vielleicht wissen Sie sicher, daß Sie Familientherapeut sind, aber ich bin es nicht, weil ich nicht weiß, was das ist!“- Er war schockiert. Aber ich war vollständig aufrichtig und sehr verärgert, absolut verärgert - nicht wegen Minuchin, denn ich glaube, sein theoretisches Modell ist sehr „seicht“, sehr, sehr seicht. Das ist ein Modell für Sozialarbeiter, das ist kein Modell für Gregory Bateson. Also das Modell ist theoretisch gesehen von sehr niedrigem Niveau - vielleicht sehr nützlich für diese Leute, die „was tun wollen“, vielleicht haben sie Erfolge damit, aber es ist kein Modell für die Forschung in den Humanwissenschaften. - Ich bin nicht daran interessiert - z.B. diese Familie von gestern - zu „heilen“. Ich bin daran interessiert, wie der Mensch in seiner natürlichen Gruppe funktioniert und nicht daran, Familien zu heilen - vielleicht ging es ihnen vor der Therapie besser - ich weiß es nicht. Ich bin nicht so sicher, ob es ihnen morgen besser geht. Ich möchte nur Änderungen bewirken, weil ich neugierig bin. Als Jay Haley in Zürich war, sagte er etwas sehr Anstößiges: Therapie sei etwas anderes als Forschung - das ist verrückt, das ist lächerlich. Jede Sitzung ist Forschung! Aus diesem Grund hatte ich eine weitere schreckliche Auseinandersetzung. Als ich letztes Jahr im Juni in Florenz (11. International Conference: „The Family Therapy in the Community“, 21.-24. Juni 1978) war, - ich weiß nicht, was los war - Jay Haley und Minuchin waren sehr erschreckt. Minuchin bat mich: „Kommen Sie nicht zu meinem Seminar, ich bin nicht auf Sie vorbereitet!“

Sie hatten doch ohnehin nicht die Absicht?

Nein! Ich mag doch diese Leute - aber ich stimme nicht mit ihren Ideen überein, das verstehen die nicht, das ist doch eine ganz andere Sache: Ich kann mit jemanden sehr befreundet sein usw. - die Ideen sind doch andere, die muß man doch diskutieren können, und ich mag sie doch!

In der BRD hat es sich eingebürgert, drei verschiedene Richtungen der Familientherapie zu unterscheiden: - psychoanalytisch orientierte, wachstumsorientierte und problemlösungsorientierte. Halten Sie diese Einteilung für sinnvoll, würden Sie sich einer dieser Orientierungen zuordnen und welche Besonderheit weist Ihre Familientherapie auf?

Ja, ich glaube dieselbe Einteilung finden Sie in Italien oder in den USA. - Nun habe ich in verschiedenen amerikanischen und englischen Zeitschriften gelesen, daß die Psychoanalyse in den USA am Ende ist - vollständig am Ende: Es gibt keine Forschungsförderung mehr, keine Ausbildungskandidaten mehr, die Psychoanalytiker werden wollen usw.. In den USA kehrt man zu Psychopharmaka zurück - und nach meiner Meinung vollkommen zurecht, denn die Psychoanalyse bewirkte absolut nichts: Bei anorektischen Kindern - nichts, in den Kliniken nichts. Daher hat man vollkommen recht, kein Geld mehr dafür zur Verfügung zu stellen. Es ist vielleicht besser, Medikamente zu verabreichen als Psychoanalyse. Dieselbe Einteilung finden Sie auch in Italien, aber nach meiner Meinung haben die Wachstumstherapie, die Psychoanalyse und die Problemlösetherapie nichts mit dem systemischen Modell zu tun, weil das systemische Modell eine radikale Revolution darstellt, eine Veränderung des Denkens, die Aufgabe der aristotelischen Logik, die endgültige Aufgabe des „medizinischen Modells“, das nicht nur in der Psychiatrie angewandt wird, sondern unglücklicherweise auch in der Psychologie - auch die klinischen Psychologen haben nur das „medizinische Modell“ im Kopf: Es gibt wirklich nichts, das wir heilen würden, weil ich nicht weiß, was richtiger ist. Ich kann Ihnen nicht sagen: „Herr Klaus Deissler, Sie sollten dies nicht tun oder das tun“ usw. „Ich weiß doch nicht, was für Sie richtig ist.“ Aber wenn Sie zu mir kämen und sagten: „Ich fühle mich nicht wohl, so wie ich bin“, würde ich mich anstrengen, Sie zu ändern, aber ich weiß nicht, in welcher Richtung, weil ich glaube, daß Sie clever genug sind, um Ihre eigene Richtung zu finden. - Unsere Familien sind clever genug, ihre Probleme selbst zu lösen, nachdem ich ihr repetitives Spiel gebrochen habe. Sie finden ihre Lösung besser, als ich es jemals könnte. Minuchin ist sicher, er weiß, was besser für die Familien ist. Das ist lächerlich, absolut lächerlich. Das ist das typische amerikanische Konzept „Ich weiß es besser als Sie, weil ich Spezialist bin. Ich weiß besser als Sie, was für Sie als Paar richtig ist. Ich weiß besser, was für Sie als Familie gut ist.“ Ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, wenn es mir gelungen ist, das repetitive Spiel zu brechen, findet die Familie die beste Lösung, während ich mir diese Lösung gar nicht vorstellen kann. Vor drei Monaten behandelten wir in nur einer Sitzung ein schizophren-katatones Mädchen in der ersten Krise erfolgreich - diese Familie hat eine Lösung gefunden: herrlich! Die Sitzung war sehr gut, aber die Lösung war viel, viel besser, denn wir haben das repetitive Spiel gebrochen. Sofort danach war das Mädchen nicht mehr schizophren und die Familie mußte eine Lösung finden - sie brachen sofort danach die Therapie ab. Bei unseren Therapieabbrüchen unterscheiden wir zwischen Abruch wegen „Veränderung“ und Abbruch, weil „nichts geht“. - Im eben genannten Fall haben wir einen Abbruch wegen Veränderung; denn diese Familie weiß, wie sie eine Lösung gefunden hat ohne den Therapeuten, eine bessere Lösung, als ich sie mir je hätte vorstellen können ...

... Sie brechen nur das repetitive Spiel und geben keine Lösung vor ...

... niemals, niemals in meinem Leben - weder Dr. Prata, Dr. Boscolo noch Dr. Cecchin geben einer Familie vor, was sie zu tun hat. Niemals!

Sie fühlen sich also nicht als pädagogischer Lehrmeister Ihrer Familien ...
 
... Niemals, weil ich Respekt vor meinem Nächsten habe.
 
Will man psychoanalytisch orientierten Familientherapeuten glauben, so ist für einen Familientherapeuten in vielerlei Hinsicht Voraussetzung für seine Arbeit die intensive Auseinandersetzung mit seinen eigenen Problemen: – manche sehen die Lehranalyse als beste Voraussetzung für einen Familientherapeuten an; – inzwischen neigen einige Familientherapeuten dazu, die Familien ihrer Ausbildungskandidaten - die Familien der zukünftigen Familientherapeuten also - einzuladen und diese gemeinsam einer Familientherapie zu unterziehen ...

... ja, weil das Idioten sind, ja..
 
... Herr Haley hat sich zu diesem Problem letztes Jahr in Florenz sinngemäß folgendermaßen geäußert: Er sagte, ihm seien keine Untersuchungen bekannt, die aufzeigen würden, daß „selbsterfahrene“ Familientherapeuten in irgendeiner Hinsicht bessere Therapeuten seien. Er würde es vorziehen, bei bestimmten Problemen, die bei den zukünftigen Familientherapeuten „blinde Flecke“ vermuten ließen, diese durch Übung mit Familien im Rahmen der Live-Supervision zu vermindern. Gibt es also einen Selbsterfahrungsmythos in der Psychotherapie und kann man die Lehranalyse als Strategie zur Aufrechterhaltung der Kontrolle etablierter Psychotherapeutenkreise über die Lernenden bezeichnen?

Ja, - um eine Kirche aufzubauen - nur deshalb. Sehen Sie, was diese Leute sagen, ist folgendes: Niemand weiß, niemand kann wissen - weil es unmöglich ist, zweimal im selben Fluß zu baden - niemand weiß also, ob ich oder meine Kollegen gute Therapeuten sind, weil wir Psychoanalytiker sind. Das ist unmöglich, denn es wäre ja notwendig, zum Fluß zu gehen, Wasser zu trinken und dann alles zu vergessen. Es ist also unmöglich zu wissen, ob wir gute Familientherapeuten sind, weil wir Psychoanalytiker waren. Deshalb ist es auch unmöglich zu entscheiden, ob es notwendig ist, eine Lehranalyse zu machen, um ein Familientherapeut zu werden. In unserem Institut gehen wir deshalb folgendermaßen vor: Dr. Boscolo und Dr. Cecchin sind die Ausbildungsleiter an unserem Institut - ich bin nicht daran interessiert, auszubilden. Die beiden stellen einige Gruppen zusammen, um die Motivation für Familientherapie zu überprüfen. Falls eine Person zu gestört ist, schicken sie sie wieder weg: „Werden Sie kein Therapeut, Tschüs“ usw.. Wenn die Leute sich mehr im mittleren Bereich befinden, wirklich motiviert sind, sehr clever sind, sich das zirkuläre bzw. systemische Modell aneignen wollen, sie Phantasie haben und unsere Techniken lernen wollen usw., können sie gute Familientherapeuten werden. Inzwischen haben wir Erfahrungen gewonnen, denn wir haben vor zwei Jahren Therapeuten ausgebildet: Sie sind sehr, sehr gute Therapeuten, und sie wurden nicht analysiert. Die Praxis, die in vielen Instituten im Ausland üblich ist, nämlich die Familiensituation des Ausbildungskandidaten zu analysieren, ist absurd, idiotisch, lächerlich usw., weil wir definitionsgemäß Mitglieder unserer Familie sind. Wenn wir als Familienmitglieder in der Familie sind, sind wir immer in F-Position und nicht in T-Position. Die Position eines Familienmitgliedes ist die F-Position und nicht die Meta-Position: Was sollen wir also in der Familie analysieren? Wenn wir Therapeuten sind, müssen wir in einer vollständigen anderen Position sein: Nicht in der F-Position, sondern in der Meta-Position. Das ist also ganz anders. Die Anstrengungen der Familie gehen dahin, uns zu Mitgliedern der Familie zu machen - und wenn die Familie schizophren ist, schafft sie es auch. Wenn wir also keine andere Hilfe von anderen Kollegen haben, schaffen sie es, uns einzubeziehen, uns zu homöostatischen Mitgliedern der Familie zu machen. Daß wir uns als Therapeuten also einer Familientherapie unterziehen bzw. unsere Position in der Familie analysieren lassen, ist ein absolut dummer Gedanke - da stimme ich genau mit Jay Haley überein.

Wir können jetzt überleiten zu Ihrem familientherapeutischen Modell mit seinen Besonderheiten. Sehen wir uns zunächst die Rahmenbedingungen an: Arbeiten Sie ausschließlich familientherapeutisch, d.h. mit allen Familienmitgliedern bzw. den Subsystemen einer Familie, und gibt es Bereiche, bei denen Sie auf ihr systemtheoretisches Familienmodell verzichten?

Ich arbeite in drei Bereichen: Der erste ist natürlich die Familientherapie mit dem systemischen Modell. Wie ich Ihnen gestern bereits erzählt habe, teilen wir inzwischen auch die Familien auf und arbeiten mit den Subgruppen, z.B. mit der letzten Generation alleine. Familien in Subsystemen aufteilen und z.B. die erste und letzte Generation getrennt behandeln, ergibt manchmal gute Ergebnisse - insbesondere bei Schizophrenie. Das ist genau das Gegenteil von dem, was wir in „Paradoxon und Gegenparadoxon“ sagten: „Teile niemals die Familien auf!“. Inzwischen erscheint es uns insbesondere bei schizophrenen Familien zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendig. Wir hatten enorme Erfolge dadurch, daß wir die letzte Generation einluden, z.B. haben wir einen Schizophrenen mit seinen 4 bis 5 Geschwistern eingeladen, um eine Allianz, eine Gang der letzten Generation zu bilden; denn sehr häufig ist der designierte Patient mit seinen Eltern involviert und von den Geschwistern isoliert. Die Eltern auszuschließen und eine Allianz der letzten Generation auf gleichem Niveau der Geschwister und dem designierten Patient zu bilden, erweist sich deshalb als sehr, sehr nützliche Taktik.
Der zweite Bereich, in dem ich arbeite, ist die katholische Universität: Dort arbeite ich mit Schulpsychologen, Betriebspsychologen, Psychologen, die in der Forschung und in großen Organisationen arbeiten, zusammen. Innerhalb dieser Forschungsarbeit wende ich dasselbe systemische Modell an. Ich habe darüber das Buch „Der entzauberte Magier“ 10 veröffentlicht und in Florenz einen Artikel mit dem Titel „Pitfalls in Organizations: The Redundancies Observed in Every Organization“ (11 Dieser Aufsatz ist meines Wissens bisher nicht erschienen. Das angesprochene Thema wird jedoch in folgendem kürzlich erschienen Buch abgehandelt: SELVINI PALAZZOLI, M. et al. (1984): Hinter den Kulissen der Organisation. Klett-Cotta, Stuttgart.) vorgestellt. Dieser Artikel wird zusammen mit einem weiteren „Why long intervals between sessions in treating the schizophrenic family“ von Guilford Press 12( SELVINI PALAZZOLI, M. (1980): Why a Long Interval Between Sessions. The Therapeutic Control of the Family-Therapist Suprasystem. In: ANDOLFI, M. & ZWERLING, I.: Dimensions of Family Therapy. Guilford, New York. deutsch: Die Notwendigkeit langer Abstände zwischen den Sitzungen. In: Zeitschrift für Systemische Therapie, 1984, 4: 49-56.) veröffentlicht. Unabhängig vom Typ der Organisation habe ich mit den Psychologen zusammen, die in solchen Organisationen arbeiten, drei typische Phänomene, drei typische Fallen festgestellt. Diese Fallen findet man, da sie repetitiv, redundant sind, in jeder Art von Organisation. - Dies ist also mein zweiter Arbeitsbereich. Innerhalb meines dritten Arbeitsbereiches behandle ich zu Forschungszwecken auch individuell Patienten mit orthodoxer, orthodoxer, orthodoxer Psychoanalyse - aber manchmal gebrauche ich Paradoxien: Wenn ich Widerstand antreffe, verschreibe ich den Widerstand. Aus diesem Grund ist die Behandlung sehr viel dynamischer. Wenn ich z.B. schizophrene Patienten individuell behandle, analysiere ich die Übertragung - das ist orthodox, aber manchmal nehme ich eine Verschreibung vor. Ich habe z.B. eine Patientin die schizophren war - inzwischen ist sie aus der Psychose raus. Es war unmöglich, die Familie zu behandeln, denn sie lebt im Ausland. Ich habe sie jedoch manchmal getroffen und kannte somit das Problem der Familie - diese Patientin war erschreckt durch ihre Fortschritte. Sie bestand darauf, mehr als zwei Sitzungen pro Woche zu bekommen. Deshalb habe ich ihr verschrieben, um mehr Sitzungen zu bitten, und dies wie folgt begründet: „Also in jeder Sitzung diskutieren wir darüber, daß sie mehr Sitzungen haben wollen. Damit hören wir auf, die Therapie fortzusetzen, das ist gut für Sie, weil Sie durch Ihre Fortschritte erschreckt sind. - Bitten Sie also um mehr Sitzungen!“- Ich verschreibe immer den Widerstand.

Können Sie kurz etwas über die prozentuale Aufteilung dieser drei Arbeitsbereiche sagen?

Der wichtigste Bereich ist die Familientherapie, in diesem Bereich arbeite ich drei Tage pro Woche. Je ein Tag ist für große Systeme und Individualtherapie vorgesehen, an den restlichen Tagen studiere und schreibe ich usw., basta!

Sie leiten ein privates Institut: Was hat Sie bewogen, Ihr Institut auf privater Basis zu konzipieren?

Freiheit, um frei zu sein. In Italien ist alles Politik: Wenn ich Geld von den Kommunisten nehme, muß ich für sie arbeiten. Wenn ich Geld von der Kirche nehme, dann muß ich für die Kirche arbeiten usw., usw. - und wenn ich Geld von der Forschungsförderung nehme, zwingen sie mich, Mitarbeiter einzustellen - ich kann nicht mit Leuten zusammenarbeiten, die ich hasse, das ist unmöglich: Also um frei zu sein.

Aus welchen sozialen Schichten und mit welchen Problemen kommen Familien zu Ihnen? Gibt es Familien, die sie hinsichtlich Ihrer spezifischen Problematik ablehnen?

Nein, am Anfang hatte ich nur anorektische Patienten - etwa zwischen 69 bis 72 - weil ich für mein Fachgebiet Anorexie bekannt war und es damals in Italien auch keine anderen Familien gab, die Familientherapie haben wollten. Darüber hinaus konnte ich in jenen Jahren nur solche Familien akzeptieren, die zahlen konnten. Ich hatte damals sehr große Unkosten, und es war unmöglich, arme Leute zu behandeln. Heute ist das ganz anders, weil wir arme Leute in der Ausbildung behandeln: Der Ausbildungskandidat bezahlt für die Familie. Wir haben vier Ausbildungstage in der Woche: Dienstag, Donnerstag, Freitag und Samstag. Auf diese Weise können wir arme Familien behandeln - sie bezahlen nicht nichts, aber sehr, sehr wenig ...

... wieviel bezahlen diese Familien selbst?
 
10 bis 20 DM.

Sie lehnen also keine Familien ab, weil sie eine besondere Problematik aufweisen?
 
Nein, aber wir haben Schwierigkeiten mit den überweisenden Personen hier in Mailand, weil diese Personen neidisch sind. Ich war z.B. eine Zeitlang sehr daran interessiert, das Problem des Stotterns zu untersuchen: Mir wurde nur eine Familie überwiesen, weil diese Leute eifersüchtig sind und keine Patienten schicken möchten.
 
Wenden Sie Familientherapie an, wenn der Symptomträger hospitalisiert ist?
 
Ja, das ist eine sehr gute Sache für mich und kein Problem - wie etwa für Jay Haley - weil ich das positiv bewerte und annehme, daß der Patient für das Wohlergehen der Familie hospitalisiert wurde. Ich bin nicht gegen die Hospitalisierung, weil ich dem Symptom, dem Verhalten, eine positive Bedeutung beimesse. Wenn der Patient in der Klinik ist, lade ich die Familie ein und sage ihr, sie solle den Patient von der Klinik abholen, mit ihm zur Sitzung kommen und ihn danach wieder zur Klinik zurückbringen. - Für uns ist das ganz gleichgültig genauso wie medikamentöse Behandlung.
 
Widerspricht das nicht Ihrer Feststellung, die die Unvereinbarkeit zweier Therapien betrifft, die gleichzeitig stattfinden, wenn z.B. ein Patient gleichzeitig an einer Familientherapie und an einer Individualtherapie teilnimmt?
 
In dem Fall, den Sie ansprechen, handelt es sich um Psychotherapie - dabei entsteht ein Konkurrenzkampf: Der Psychoanalytiker, der den Patienten individuell behandelt, glaubt, daß er als Therapeut besser bzw. der beste sei - dann entsteht die Konkurrenz. Denn der Patient kommt mit dem Paradox zu dem Analytiker zurück - und der Analytiker kritisiert das: „Dr. Selvini ist verrückt“ o.ä.. Nehmen wir z.B. den Fall von gestern: Wenn Mary in psychoanalytischer Behandlung wäre, würde sie zu ihrem Analytiker zurückkommen, ihm die Sitzung erklären und sie kritisieren. - Es ist unmöglich, so zu arbeiten. Wenn der Patient jedoch im Hospital ist, gehört dies zum Familiensystem dazu - das Hospital wird zu einem Teil des Familiensystems. Ich frage den Patienten dann: „Du wolltest doch hospitalisiert werden, weil Du wußtest, daß Deine Familie einen Patienten braucht?“
 
Was Ihre konkrete Arbeit mit Familien betrifft, arbeiten Sie im Team: 2 Therapeuten arbeiten mit der Familie, 2 Therapeuten beobachten die Sitzung hinter der Einwegscheibe, anschließend besprechen Sie die Sitzungen z.T. mehrstündig anhand von Video-Aufzeichnungen. Meine Frage dazu lautet: Wie viele Familien können Sie pro Woche behandeln? Wenn man darüber hinaus bedenkt, daß Sie die Gesamtsitzungszahl mit ca. 10 Sitzungen pro Jahr veranschlagen und die Abstände zwischen den Sitzungen in 4-6 Wochen betragen, sieht dann die Kosten-Nutzen-Relation noch so aus, daß Sie von den Einkünften aus Ihren Therapien leben können? Herr Watzlawick hat zu diesem Problem in einem Aufsatz geäußert, daß man mit Psychotherapie, die auf kommunikationstheoretischen Prinzipien beruhe, keine Privatpraxis unterhalten könne. Wenn man nun die Gesamtzahl von 10 Sitzungen zugrundelegt, was kostet eine Familientherapie bei Ihnen?
 
Pro Woche kann ich höchstens vier Familien behandeln: Eine am Montag, zwei am Dienstag und eine am Mittwoch. Danach habe ich genug, denn an den jeweiligen Abenden muß ich die Sitzungen in einer so präzisen Synthese niederschreiben, daß ich sie in fünf Minuten nachlesen kann. Diese fünf Minuten müssen also alle wichtigen Informationen beinhalten - das ist sehr, sehr schwierig. Ich habe mich auf diesem Gebiet spezialisiert. Meine Kollegen können das nicht machen, sie sind nicht so gut dran wie ich: Mein Mann ist sehr, sehr gut zu mir; er arbeitet im Hospital, und er „füttert“ mich. Meine Kollegen müssen an anderen Tagen noch Geld verdienen, weil wir hier nichts verdienen - absolut nichts! Ich persönlich habe 100.000.000 Lire 13 (Kurs 1979: 1.000 Lire = 2.23 DM) verloren, weil ich meinen Beruf aufgegeben habe. Sie können sich also selbst ausrechnen, wieviel ich in 10 Jahren verloren habe. Ich bin aber keine Jeanne d‘Arc, ich habe Spaß, ich amüsiere mich. Jeder amüsiert sich so wie er kann, ich amüsiere mich, indem ich Forschungen betreibe - andere Leute fahren vielleicht mit ihrem Segelboot. Ich verdiene hier also nichts. Guiliana hat ihre Privatpraxis - Montag nachmittags, Dienstag, Freitag und Samstag. Inzwischen verdienen Luigi Boscolo und Gianfranco Cecchin Geld, weil sie Ausbildungen durchführen, und diese Ausbildung ist nicht sehr teuer - jedoch teuer genug, daß sie dabei etwas verdienen können: Nach 10 Jahren Hunger und Opfer verdienen sie jetzt Geld. Ich persönlich hasse es, Ausbildung zu betreiben, deshalb mache ich es nicht. Aus diesen Gründen liegen die Gesamtkosten für eine Familientherapie höchstens bei 1.500.000 Lire, wenn man die Inflation mit einbezieht, das Minimum für eine arme Familie liegt bei 300.000 Lire für 10 Sitzungen, das ist sehr wenig.

Können Sie mit Zuschüssen von Krankenkassen oder Sozialämtern rechnen?
 
Nur die Familien selbst, nachdem die Familien bei uns bezahlt haben, können sie einen Zuschuß beantragen. - Manchmal bekommen sie einen solchen Zuschuß, der Betrag ist jedoch sehr gering.
 
Haben Sie eine Warteliste für Familientherapie und lassen Sie ihre Familien aus strategischen Gründen warten?

Wir hatten eine sehr, sehr lange Warteliste - über viele, viele Monate. - Inzwischen riskieren wir, wieder eine sehr lange Warteliste zu bekommen. Wir haben Perioden: Im Dezember und Januar hatten wir eine ungeheure Zahl von Bewerbern - um die 100, das ist unmöglich. Deshalb schicken wir inzwischen Familien zu unserer kleinen Gruppe, dem 2. Zentrum, also zu den Leuten, die von uns trainiert wurden. Aber es gibt Schwierigkeiten, denn die Familien glauben, das andere Zentrum sei zweitrangig.
 
Wie gehen Sie mit Anmeldungen zur Therapie um, wenn der Anrufer behauptet, die anderen Familien seien nicht bereit mitzukommen?
 
Wir akzeptieren solche Fälle nicht. Es ist aber wichtig hinzuzufügen, daß es sich in einem solchen Fall um eine Manipulation dieses Familienmitgliedes handeln könnte. Ich weiß ja nicht, ob es wahr ist, was es sagt - vielleicht will es die Familie nur verlassen. Deshalb akzeptieren wir solche Fälle nicht.
 
Wie stehen Sie zum Problem der „selegierten Stichprobe“? Manche Kritiker nehmen bei sehr erfolgreichen Psychotherapeuten an, diese hätten es mit einer selegierten „Stichprobe“ zu tun. Man könnte es etwa so ausdrücken: „Wenn wir schon zu den berühmten Mailänder Familientherapeuten gehen, wollen wir auch gesund werden!“
 
Das Problem ist genau das Gegenteil - genau das Gegenteil. Ich bereite z.Zt. einen sehr amüsanten Artikel vor, den ich auch in „Familiendynamik“ und in einem französischen Journal veröffentlichen möchte. Dieser Artikel soll folgenden Titel haben: „Schläue der Dummheit oder die Potenz der Impotenz“ 14( SELVINI PALAZZOLI, M. & PRATA, J. (1980): Die Macht der Ohnmacht. In: DUSS-von WERDT, J. & WELTER-ENDERLIN, R. (eds): Der Familienmensch. Klett-Cotta, Stuttgart.) . Nehmen wir ein Beispiel: Wenn eine Familie mit einem Problem der Anorexie hierher kommt und von Dr. Prata empfangen wird, wird sie ganz wild und sagt: „Wir wollen Dr. Selvini haben!“ und Dr. Selvini ist nicht da. Deshalb scheuen die Familien keine Anstrengung, keinen Erfolg zu haben, weil sie Dr. Selvini haben möchten. - Wir haben derart lustige Sachen gemacht: Einmal hatten Dr. Prata und Dr. Cecchin eine Familie in Therapie, die jedoch gekommen war, um von der berühmten Dr. Selvini therapiert zu werden - also: 1. Intervention, 2. Intervention, 3. Intervention - immer dasselbe. Wir haben darauf entschieden, daß das Problem darin bestand, daß Dr. Selvini nicht bei den Sitzungen anwesend war. Als wir die Familie danach fragten, dementierte sie dies. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, ein indirektes Experiment zu machen: Die Sitzung war gerade zu Ende und die Therapeuten gingen hinaus. Als sie zurückkamen, sagten sie - wie zwei arme Idioten: „Wir sind verzweifelt, heute versteht Dr. Selvini überhaupt nichts.“ Die Eltern sagten: „Wir haben Sie doch so gebeten - das ist unmöglich, unser Mädchen ist doch so schwer krank - die Situation ist tragisch!“ Damit sehen Sie die vollständige Verwerfung der Therapeuten: Sie existieren für die Familie überhaupt nicht. Danach verschwand die Familie und die Patientin war sofort geheilt - sofort! - Diese Familie stammt aus Turin, die Großmutter lebte jedoch in Mailand, und jedesmal nach der Sitzung gingen sie die Großmutter besuchen, um mit ihr zusammen Mittag zu essen und danach mit dem Zug zurück nach Turin zu fahren. Nach dieser Sitzung betrat das Mädchen das Haus der Großmutter und rief sie, um ihr zu sagen: „Dr. Selvini hat ausgedient, sie versteht überhaupt nichts mehr. Jetzt muß ich an mich selbst denken: 2 Portionen Spaghetti und Käse!“
 
Sie haben also erfahren, daß ihr Ruf ein sehr erfolgreiches Therapeutenteam zu sein, Sie behindert hat?
 
Ja, weil viele Familien die kommen, fast immer das Buch (Paradoxon und Gegenparadoxon) sehr aufmerksam gelesen haben. In unseren Sitzungen gibt es also immer eine weitere Person: Das Buch. Aus diesem Grund müssen wir jedesmal was Neues erfinden - und je fähiger wir werden, desto symmetrischer werden die Familien: Sie wollen sich ändern, gleichzeitig jedoch nicht - sie wollen dem Therapeuten nicht die Befriedigung vermitteln, daß die Familie sich geändert hat. Und wenn sie sich ändern und der designierte Patient seine Symptome aufgibt und wir am Ende der Therapie fragen: „Was denken Sie über die Therapie? Was denken Sie, daß z.B. Alexander keine Symptome mehr hat?“ antworten sie z.B.: „Ich glaube, die Phase zwischen 15 -17 Jahren war entscheidend.“ - Sie erkennen niemals das Verdienst der Therapeuten an, niemals, niemals! - Und das ist gut für uns.
 
Es gibt einige Kritiker, die behaupten, Ihr familientherapeutisches Modell sei für italienische Familien zugeschnitten. Man denkt v.a. daran, das italienische Familien sich durch einen starken Familienzusammenhalt auszeichnen. Demnach müßte es so sein, daß ihr Modell nicht anwendbar ist bei Familien, deren Mitglieder relativ leicht austauschbar sind. Sie haben selbst in ihrem Buch „Der entzauberte Magier“ auf einen ähnlichen Zusammenhang hingewiesen.
 
Ich weiß, daß Minuchin von sehr verstrickten Familien spricht und von losgelösten Familien - ich denke, das ist ein weiteres falsches Konzept von Minuchin, weil wir in Wirklichkeit nicht erkennen können, ob die Familie wirklich losgelöst ist oder sich nur so zeigt. Es gibt die Art, das Spiel „verstrickt zu spielen“ und die Art, es „losgelöst zu spielen“. Auch wenn die Familie offensichtlich losgelöst ist, besteht die Aufgabe des Therapeuten darin, diese Familie in einer solchen Weise zu schocken, daß sie mit Hilfe des Therapeuten ein sehr starkes System bildet. - Wir wissen nicht, was war und was wirklich ist. Wir müssen jedoch die Familien gerade wenn sie losgelöst spielen - in einer Weise erschüttern, daß sie daran interessiert sind, daß das Supersystem Familie plus Therapeut eine engagierte Gruppe wird.
 
Sie haben die Frage von ihrem konzeptuellen Unterschied zu Minuchin beantwortet, meine Frage betraf jedoch die unterschiedliche Familienkonstellationen in verschiedenen Nationen.
 
Das sind Dummheiten: Wir waren in den USA und haben dort schizophrene und anorektische Familien behandelt - diese Familien sind vollständig identisch mit italienischen Familien. Ich bin absolut sicher, daß es notwendig ist, einen Patienten mit schizophrener Symptomatik mit seiner Familie zu behandeln, weil er seine Familie nie verlassen hat. In Italien, in Amerika, in Afrika, auf dem Nordpol und in Alaska - überall ist die Familie des Symptomträgers verstrickt. Nun gibt es am Ackerman-Institut eine Gruppe, die von Lynn Hoffmann geleitet wird; diese Gruppe behandelt amerikanische Familien mit unseren paradoxen Methoden und sie haben sehr gute Ergebnisse - dort gibt es also amerikanische Familien. Es ist also keine Methode für d i e italienische Familie, es gibt eine spezifische Erklärung dafür. Das systemische Modell erklärt es: Das Leben ist paradox. Weil wir lebendig sind, sind wir in Paradoxien gefangen. Das Paradoxon ist die Basis des Lebens, das Gegenparadox die Basis der Therapie - warum? Wenn ich lebe, heißt dies, daß ich mich ständig in einem Äquilibrium zwischen Homoöstase und Veränderung befinde. Dieses Äquilibrium ist zwar stetig, jedoch nicht stabil - das ist paradox. Ein weiteres wichtiges Paradox besteht in etwas, was dem Menschen immanent ist, wenn er den Menschen transzendiert. Ich mache zwei Dinge gleichzeitig: Ich beeinflusse und werde beeinflußt, ich leite und werde geleitet - also es ist immer paradox. Wenn wir nun die Doppelbindung nehmen, haben wir nur deshalb ein pathologisches Paradox, weil verschiedene Kontextebenen verwirrt wurden. Aus diesem Grund müssen wir gegenparadoxale Interventionen machen, weil in diesem Fall das Gegenparadox das pathologische Paradox - nämlich die Verwirrung von Kontextebenen - bricht. Damit habe ich also ihr Problem geklärt.
 
Was macht eine therapeutische Verschreibung zur paradoxen Verschreibung? Kann eine paradoxe Verschreibung gefährlich sein?
 
Das wurde bereits in „Menschliche Kommunikation“ (s.o.) und in „Paradoxon und Gegenparadoxon“ beschrieben. Wir haben viele verschiedene Interventionstypen erfunden: Das erste sind die „Familienrituale“; sie sind origineller als Paradoxe. - Familienrituale sind unsere Erfindung. Wir haben viele, viele Familienrituale erfunden, sie sind ganz anders als therapeutische Paradoxe, denn ein „Familienritual“ ist eine Verschreibung, die die Regeln einer Familie verändert, ohne dies zu erklären. Die Familie, die sich dem „Familienritual“ unterwirft, gewinnt eine neue Erfahrung, die anders ist, als die Erfahrung, die sie vorher hatte, denn dieses Ritual vermittelt Regeln, die sich von den vorausgehenden unterscheiden. Das ist unsere eigentliche Erfindung. Wir haben also „einfache Verschreibungen“, „paradoxe Interventionen“ und „ritualisierte Verschreibungen“. Die ritualisierte Verschreibung finden sie nicht in unserem Buch. Sie ist veröffentlicht im „Journal of Marriage and Family Counseling“ im August letzten Jahres „Odd Days and Even Days“ 15(deutsch: SELVINI PALAZZOLI, M. et.a1.: Gerade und ungerade Tage. In: Familiendynamik 1979, 4: 139147. ) ... Die paradoxe Intervention ist in unserem Buch beschrieben - die Sache ist klar: Wir bewerten nicht nur das Verhalten des Patienten positiv, sondern das Verhalten der gesamten Familie und verschreiben das Spiel - es gibt keine Gefahren. Manchmal versagen wir jedoch, weil wir dumm sind - wir haben dann der Familie nicht das richtige Spiel verschrieben, weil die Familie ein Spiel spielt, das wir nicht verstanden haben. Wir machen also Fehler, weil wir dumm sind.

An welche Voraussetzungen ist also eine erfolgreiche paradoxe Systemintervention gebunden?
 
Sie müssen die Sitzung in einer korrekten Weise gemäß den drei Prinzipien - Hypothesenbildung und Kontrolle der Hypothese, Zirkularität und Neutralität - führen 16(SELVINI PALAZZOLI, M. et al. (1981): Hypothetisieren - Zirkularität - Neutralität. Drei Richtlinien für den Leiter der Sitzung. In: Familiendynamik, 6: 123-139.) .
 
Das ist doch nicht alles?
 
Nein, aber erst danach können Sie besser verstehen, worin das wirkliche Spiel der Familie besteht und es zerschlagen - das wirkliche Spiel der Familie verschreiben. Wenn Sie nicht das wirkliche Spiel der Familie verschreiben, gibt es einen schrecklichen Mißerfolg - und wir machen sehr oft diesen schrecklichen Fehler.

Müssen paradoxe Interventionen immer in einer gewissen Weise „mystisch“ für die Familien erscheinen, damit die Familie nicht versteht, worin die eigentliche Arbeit besteht?

Ja, erkläre nichts, belehre nicht! Wir erklären nichts: Gestern z.B. erhielt ich während der Familientherapie eine große Hilfe von Dr. Prata, denn sie rief mich aus der Sitzung heraus und empfahl mir, insbesondere die Funktion der Großmutter zu erfragen. Dies erwies sich als richtig, denn das Problem war die heimliche Allianz zwischen Großmutter, Vater und designierter Patientin. Ich glaube, ein unerfahrener Therapeut würde gestern nichts verstanden haben, absolut nichts verstanden haben. Er wäre wie ein dümmlicher Mann dem Sog des Symptoms, dem Weinen der Mutter usw. erlegen. Ich habe gestern das symptomatische Verhalten der Familie sofort unterbrochen. Auch Beschreibungen des Symptoms interessierten mich nicht. Ich habe meine Hypothesen im Kopf. Ich verfolge präzise Fährten, ich habe die Initiative - nicht die Familie. Andererseits hat die Familie die Initiative: „Wir kommen zur Sitzung, um zu zeigen, wer verrückt ist und wer schlecht ist, das ist das Ziel der Familie.

Bei Ihrem familientherapeutischen Vorgehen gibt es also eine bestimmte Abfolge therapeutischer Schritte: Telefoninterview, Hypothesenbildung, 1. Familieninterview, Diskussion des Interviews im Team und Korrektur der Hypothesen, 1. Intervention usw.

Ja, immer. In jede Sitzung gehen wir mit einer Hypothese. Am Ende der ersten Sitzung machen wir eine Voraussage, eine Hypothese, und in der zweiten Sitzung kontrollieren wir die Hypothese der ersten Sitzung - in jeder Sitzung gibt es also eine Hypothese ...

... und Sie gehen explizit in dieser Weise vor ...

... explizit in dieser Weise ...

Haben sie bereits Erfahrungen mit Nacherhebungen gemacht?

Sehr interessante! Wir sind dabei, die Nachfolgeuntersuchungen der Fälle durchzuführen, die wir in „Paradoxon und Gegenparadoxon“ beschrieben haben - nach mehreren Jahren also. Dabei haben wir sehr, sehr interessante Neuigkeiten gefunden. Wir fanden viele geheilte Patienten, die am Ende der Therapie noch nicht geheilt waren. Unsere Heilungsquote bei anorektischen Patienten liegt vielleicht bei 90% - selbst wenn wir ursprünglich den Eindruck hatten, daß die Behandlung ein Mißerfolg war. Wir setzen diese Arbeit z.Zt. fort. Wir stehen erst am Anfang mit den Kontrollerhebungen. Ich habe den Eindruck, wenn wir eine Familie mit einem paradoxen Kommentar behandeln, ist dies wie eine Waljagd - die Jagd nach dem weißen Wal: „Wir fahren mit dem Schiff, wir jagen den weißen Wal und schießen dann das Paradoxon in den Körper des Wals, und der Wal verschwindet - aber mit einer Harpune im Körper, die langsam weiterarbeitet“. - Genauso arbeitet das Paradoxon am Ende der Therapie bei der Familie wieter, der Prozeß ist also nicht abgeschlossen - das ist etwas sehr dynamisches. „Wenn es gelingt, den Wal mit einer Harpune zu treffen, arbeitet das weiter“ - über Jahre und Jahre, das ist sehr, sehr interessant. Wir hatten z.B. einen Fall, an den ich mich gut erinnere: Familie Tuzzi, diese Familie hatte ein anorektisches Mädchen. Die Familie war absolut nicht motiviert, nicht im geringsten. Sie hatten eine einzigartige 13-jährige Tochter. Wir haben die Nacherhebung nach 6 Jahren gemacht, die Tochter ist heute 19 Jahre alt. Damals kam die Familie, Vater, Mutter und das kleine Mädchen, das seit 4 Jahren anorektisch war, seit ihrem 9. Lebensjahr also. - Sie war zu der Zeit klein, wie ein Zwerg. Ich habe damals die Sitzung durchgeführt und die Familie war sehr unglücklich mit diesem schrecklichen kleinen Mädchen, diesem Zwerg. Nach der Sitzung bin ich mit einem Kollegen zu dem Schluß gekommen, daß der Widerstand dieser Familie so mächtig war, daß ich eine enorme, schrecklich grausame Intervention machen müßte, um den Widerstand zu brechen. Ich ging also zur Familie zurück und erzählte ihr in einer sehr kryptischen Weise, daß es zwar eine Indikation für Familientherapie gab, ich mich aber entschlossen hätte, sie nicht durchzuführen, denn es sei viel besser, daß das Mädchen anorektisch bleibe, weil, wenn sie geheilt würde und essen würde, sie erkennen müßte, daß sie ein Zwerg sei, denn zu diesem Zeitpunkt sei das Knochenwachstum bereits beendet. Es sei unmöglich, daß nach 4 Jahren Anorexie die Knochen weiterwuchsen. Sie sei für immer ein Zwerg. Deshalb spielte ich darauf an, daß es besser sei, daß sie wegen ihrer Anorexie sterbe, als daß sie geheilt und ein armer unglücklicher Zwerg würde. Die Familie war wie wild, und ich war sehr traurig. Ich habe ihnen gesagt, sie sollten in 6 Monaten wieder anrufen, weil ich z.Zt. nicht den Mut hätte, diese Therapie zu machen, weil es zu schrecklich wäre, diesen kleinen Zwerg zu sehen, und selbst mit der Therapie würde das Mädchen ihr ganzes Leben lang ein Zwerg bleiben. Nach 6 Monaten jedoch riefen sie nicht an und kamen auch nicht. Inzwischen sind 6 Jahre vergangen. Vor 2 Wochen hat Giuliana (Prata) Nachuntersuchungen gemacht und dabei stieß sie auf Familie Tuzzi und ihre Daten: Nur eine Sitzung usw.. Darauf hat sie die Familie angerufen: Der Vater war am Telefon so wild, als sei die Sitzung gestern gewesen, er sagte: „Sie sind Dr. Prata vom Mailänder Institut für Psychotherapie? Sagen Sie dieser Type von Professor Selvini, diese dumme idiotische Professorin, sagen Sie ihr, sie sei ein Zwerg, denn sie ist sehr klein. Meine Tochter ist innerhalb eines Jahres 20 cm gewachsen und hat 20 kg zugenommen.“. Sie und ihre Familie wurden geheilt durch die Wut, die sie auf mich hatten. Dies ist der Beweis dafür, wie falsch es ist, von Liebe, Betroffenheit, Mitleid usw. zu sprechen. Mitleid hat noch niemanden geheilt, man muß etwas Nützlicheres tun. Diese Familie wurde durch Raserei geheilt - der Vater war rasend: „Sie sind ein Zwerg - Dr. Selvini ist ein Zwerg“.

In Ihrem familientherapeutischen Modell haben Sie - wenn ich Sie richtig verstanden habe den „psychischen Krankheitsbegriff“ über Bord geworfen: Impliziert der Begriff „Psychische Krankheit“ eine „negative Symptombewertung“ - ist er also für therapeutische Zwecke hinderlich?

Sicher!

Können Sie das bitte etwas eingehender erklären?

Wir wissen, daß jedes gestörte Verhalten ein Verhalten ist, das auf eine bestimmte Weise mit dem Verhalten der Gruppe abgestimmt ist - deshalb gibt es keine psychische Krankheit. Aber es gibt Manifestationen des Spiels, und man muß dieses repetitive Spiel brechen; basta!

Kann man die klassische psychoanalytische Widerstandsdeutung ebenfalls als negative Symptombewertung bezeichnen?

Nein, ich bin sicher, daß der Widerstand nur die Konsequenz aus der Dummheit des Psychotherapeuten bzw. des Psychoanalytikers ist. Dies liegt v.a. daran, daß der Psychoanalytiker dem Patienten vermittelt, daß er ihn verändern will - aus diesem Grund zeigt der Patient Widerstand, wenn man als Therapeut jedoch darauf insistiert, daß man den Klienten nicht verändern will, widersetzt er sich nicht ...

... man sollte dem Klienten also vermitteln: „Bleib‘ so, wie Du bist!“...

... ja, der Widerstand ist also nur die Konsequenz. Nehmen wir ein Beispiel: Wir sagen oft, die und die Familie zeigt einen starken Widerstand, aber die eigentliche Ursache liegt darin, daß wir zu dumm sind. Die Familie widersetzt sich, weil wir nichts verstehen - würden wir verstehen, würde sie sich nicht widersetzen. Gestern am Ende der Sitzung hat sich die Familie nicht widersetzt. Die Mutter sagte mir: Ja, das ist wahr, meine Schwiegermutter wollte nicht, daß ich ihren Sohn heiratete“. Sie zeigte jedoch keinen Widerstand, weil ich recht hatte. Hätte ich jedoch unrecht gehabt, hätte sie sich widersetzt.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen individualpsychologischer Interpunktion und dem Denken in psychischen Krankheitskategorien, die ja Kategorien „für“ Einzelindividuen sind?

Oh ja, ja! Die Familie, die einen designierten Patienten präsentiert, ist immer eine Familie, die im Rahmen des linearen Modells denkt: „Wer ist schlecht, wer ist verrückt, wer ist die Ursache der Krankheit usw. usw.?“ Wenn man Familien zwingt, im zirkulären Modell zu denken, ändern sich auch ihre diesbezüglichen Gedanken. Das lineare Modell stellt immer die Basis des Symptoms des designierten Patienten dar.

Sie und Ihre Kollegen haben in dem Buch „Paradoxon und Gegenparadoxon“ geäußert, daß die verschiedenen Familienmitglieder nicht verschiedene „Eigenschaften haben“ bzw. in einer bestimmten Weise „sind“, sondern daß sie sich gemäß den Regeln des Familiensystems in jeweils spezifischen Weisen „zeigen“. In diesem Zusammenhang gebrauchen Sie den Begriff „Spiel“. Es gibt verschiedene Autoren, die den „Spielbegriff“ - mehr oder weniger explizit definieren - jedoch meist auf individualpsychologischer Ebene, gebrauchen. - M.E. implizieren Konzepte wie „sich-so-zeigen“ und „Spiel“ Veränderbarkeit: Können Sie erläutern, was ein „systemisches Spiel“ ist und worin Sie die Vorteile des „Spielkonstruktes“ sehen?

Ich denke, daß das klar ist: Bateson hatte die Idee, daß die Familie ein „Programm“ hat, wie ein Computer. Wenn die Menschen über eine gewisse Zeit zusammenleben, entwickeln sie Regeln. Diese Regeln sind die Regeln des Spiels - Spiel in dem Sinne, daß die Interaktionen der Familie durch diese Art der Regeln fixiert sind. - Also muß man die Regeln verändern. Wenn ich sage, sie „zeigen“ sich, ist dies nicht die Realität. Ich gebrauche das Verb „zeigen“, um das Verb, „sein“ zu vermeiden, denn wir wissen nicht, ob die Familienmitglieder in dieser Weise „sind“. Wir wissen, daß sie sich „zeigen so zu sein“ - gemäß den Regeln des Spiels. Z.B. wenn die Familie einen Vater präsentiert, der „zeigt, daß er dumm ist“, und wir diesen Mann wie einen cleveren Mann behandeln, so wird er clever sein. Dadurch wird also klar, daß sein Verhalten, nicht etwas darstellt, was er „ist“. Wir erklären das durch das „als ob“, weil wir es ändern können.

Das ist das, was ich meine: Die Begriffe „zeigen“ oder „spielen“ implizieren Veränderbarkeit. Man kann ein Spiel, bzw. dessen Regeln verändern, aber man kann keine Person oder eine Familie ändern, die so oder so „ist“.

Genau, genau, genau. Aber „zeigen“ ist auch nicht das richtige Wort, denn wenn ich ihnen sage, „Sie zeigen, daß Sie interessiert sind“, impliziert dies in unserer Sprache, eine Konnotation von Heimtückischsein oder eine verborgene Absicht haben. Das stimmt für die Familie nicht, weil sie sich nicht bewußt sind, daß sie etwas zeigen. Wir gebrauchen das Verb „zeigen“, um uns zu zwingen, daß Verb „sein“ aufzugeben.

Sie möchte also die negative Konnotation ausschließen.

Ja.

Zum Abschluß möchte ich Ihnen eine allgemeine, sozialpolitische Frage stellen: Im Gegensatz zur BRD gab und gibt es in Italien eine sehr starke antipsychiatrische Bewegung. Stimmen Sie mit der Auffassung überein, die besagt, die Sozialpsychiatrie sei die Synthese aus Psychiatrie und Antipsychiatrie oder würden Sie mehr Thomas SZASZ zustimmen, der fürchtet, daß wir auf einem psychiatrischen bzw. psychotherapeutischen Staat zutreiben, indem - extrem gesagt - nur noch Psychiater und Psychotherapeuten regieren 17 (Vgl. dazu: SIMON, R. (1984): The Myth of Family Therapy. An Interview with Thomas SZASZ. In: The Family Therapy Networker, 8: 20-27 und 62-67 Sowie SZASZ, T. S. (1984): The Therapeutic State. Psychiatry In The Mirror of Current Events. Prometheus Books, New York. )

Das ist alt, diese Ideen sind überholt. Diese Gefahr der Psychiatrie bestand vor 10 Jahren, als es die Psychoanalyse gab. Heute lacht jeder über die Psychiater und Psychologen, jeder lacht, und in den USA sagt man: „Nimm Medikamente, nimm Pharmaka, erkläre nichts, erzähle keine Romane über die Patienten! Jeder hat genug von der Geschichte der komplizierten Psychiatrisierung usw. Das ist sehr alt. Wenn ich für mich spreche: Wir sind keine Antipsychiater, weil es keine Psychiater gibt. Nehmen wir einen absolut dummen Sachverhalt heraus: Psychiater müssen Familien behandeln? Das ist lächerlich! Warum Psychiater? Psychiater sollen Psychopharmaka bei den Leuten verabreichen, die sie für „geisteskrank“, für „schizophren“ halten, weil es unmöglich ist, Familientherapie durchzuführen, während man selber einen Anstaltsinsassen behandelt. Der normale Psychiater verabreicht Drogen. Zur Zeit befinden wir uns in einer Forschungsphase. Mit der Psychiatrisierung ist es jetzt zu Ende, weil jeder genug hat von psychoanalytischen Interpretationen, Erklärungen usw. - kein Kult mehr! Das sind Romane, das ist Literatur.

Welchen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang die Familientherapie? Man kann ja sagen, daß im Rahmen der Familientherapie nicht nur das „Beobachtungsfeld“ ausgedehnt wird, sondern auch das „Beeinflussungsfeld“. Welche sozialpolitischen Implikationen hat die Familientherapie?

Das ist ein schreckliches Problem: 1. Familientherapie ist sehr jung und wir befinden uns zur Zeit in einer Phase der absoluten Forschung. Ich teile nicht die Auffassung von Minuchin, der meint, daß sie bereits „etwas“ haben. 2. Nachdem nun in Italien die psychiatrischen Kliniken geschlossen wurden, werden inzwischen „lokale Einheiten“ entwickelt. Vielleicht ist es in einigen Jahren möglich, „Spezialisten für Kontextintervention in Familien, Schulen und Kindergärten“ heranzubilden, die vorbeugend eingreifen, wenn dysfunktionale Spiele auftreten. Das wird die wirkliche Sozialintervention bzw. -prävention sein. Aber das Problem liegt woanders: Wir wissen, daß unsere Gesellschaft Abweichende braucht - und vielleicht braucht unsere Gesellschaft gerade Schizophrene, Chareteropathen und andere. Es könnte sein, daß die Gesellschaft ein Äquilibrium zwischen funktionalen und dysfunktionalen Bereichen, solchen, die adaptativ und solchen, die nicht adaptativ sind, braucht.

Vielen Dank für das Interview.




Suche
Heute ist der
Aktuelle Nachrichten
15.06.2014
Die Systemische Gesellschaft sucht zum 1. Januar 2015 neue Geschäftsführung
10.04.2014
W 3 Endowed Professorship for Systemic Family Therapy in Freiburg
08.04.2014
Gesundheitsausgaben 2012 übersteigen 300 Milliarden Euro
28.01.2014
Fast jede zweite neue Frührente psychisch bedingt
17.12.2013
Diagnose Alkoholmissbrauch: 2012 wieder mehr Kinder und Jugendliche stationär behandelt

Besuche seit dem 27.1.2005:

Counter