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Veranstaltungsbericht |
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02.06.2011
Die Jahres-Tagung der SG: SGeht raus vom 6. bis 7. Mai 2011 in Berlin
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Edelgard Struß: Ein systemisch-ethnologischer Expeditionsbericht aus einer Karawanserei
Die Jahrestagung der Systemischen Gesellschaft, die in diesem Jahr im „Radialsystem“ in der Nähe des Ostbahnhofs stattfand, brachte die Teilnehmenden zusammen wie in einer Karawanserei. Zwar fehlte ein geschlossener Innenhof einer mit Wasserbecken, Pistazienbäumen, Rosenbüschen, Diwanen, Katzen und Wasserpfeifen. Dafür gab es aber angenehme Veranstaltungsräume und eine großartige Terrasse unmittelbar an der Spree mit Gartenmobiliar, Liegestühlen und Treppenstufen sowie die ganze Zeit über phantastisches Wetter. Auf der andere Seite der Spree Brachland mit Büschen, weiter weg heruntergekommene große Gebäude, links ein großes Gewerkschaftshaus an einer Brücke, Ausflugsboote auf dem Fluss. Zwischen den Büschen am anderen Ufer Picknickleute, Angler, ein Mann, der Pilatesübungen machte, Hunde ohne menschliche Begleitung, Jugendliche auf Fahrrädern.
Eine Teilnehmerschaft hatte sich eingefunden, die sich von dem vergangener Tagungen schon allein durch das weite Altersspektrum unterschied. Das Programm hatte viele jüngere Teilnehmerinnen und Teilnehmer angezogen, von denen etliche keinen besonderen Bezug zur SG hatten, 30jährige Coaches aus der Werbe-Branche, Organisationsberater, Trainerinnen, Neulinge in der Beratungsszene und andere Interessierte ohne Mitgliedschaft in irgendeinem Verband. Aber auch die „nächste Generation“ der 45 – 55-Jährigen, von denen einige am Tag zuvor in den Vorstand der SG gewählt worden waren. Und natürlich etablierten Mitglieder der Gründergeneration, unter ihnen versierte Moderatorinnen und Moderatoren der Tagung.
Diese viel versprechende Mischung wurde gleich am ersten Tag durcheinander gewirbelt, in Expeditionsgruppen von 8 – 10 Personen zusammengestellt und mit ethnologischen Forschungsaufträgen versehen. Auf das zu erwartende Fremdartige waren die Gäste der Karawanserei vormittags durch zwei spannende Vorträge eingestimmt worden, deren erster ein Bericht über eine Familientherapie mit Primaten im Zoo von Hannover gewesen war. Professor Dr. Andreas Spengler, Psychiater und Psychotherapeut und Klaus Meyer, Zootierpfleger und Revierleiter bei den Menschenaffen im Hannoveraner Zoo, berichteten Erstaunliches zur Interaktion zwischen einer Gorillafamilie und ihrem menschlichen Betreuungsteam. Professor Dr. Joachim Kersten von der Polizeihochschule Münster hielt den zweiten Vortrag und erzählte ausgesprochen launig über seine Erfahrungen und Forschungsergebnisse aus dem Alltag der Polizei. Als „Höflich, aber bestimmt“ beschrieb er das bewundernswerte Auftreten der Polizistinnen und Polizisten in Konfliktsituationen.
Mit den beiden Vorträgen waren endgültig alle Möglichkeiten für die Teilnehmenden erschöpft, sich gleich zu Beginn der Tagung für die restliche Zeit auf einem Platz im Hörsaal festzukleben. Ab jetzt gab es keine Chance mehr, sich in tagungsüblichen Rollen einzurichten, sei es als stiller Teilnehmer, als eloquent Kommentierende, als Ober-Deuter oder Schlaumeierin vom Dienst, als Guru, Quertreiberin oder als jemand, der sich mal wieder mit der Veranstaltung vertan hatte. Stattdessen waren alle in ihren Expeditionsgruppen mit simplen logistischen Fragen beschäftigt. Wie viel Gepäck mitnehmen? Für Proviant sorgen? Zuerst noch etwas trinken oder später? Das richtige Schuhwerk an? Mit welcher U-Bahn fahren? Und dann als Kleinkarawane mit lauter Ahnungslosen in die Fremde auf der Suche nach Institutionen und ihren Gastgeberinnen und Gastgebern. Den neugierigen Leserinnen und Lesern empfehle ich an dieser Stelle die Liste der besuchten Orte und die Reiseberichte der Expeditionsgruppen: http://www.systemische-gesellschaft.de/files/reiseberichte.htm Den Höhepunkt der Tagung bildete für mich die Rückkehr der Expeditionen in die Karawanserei. Die einen am späten Nachmittag, andere am Abend: müde, aufgedrehte, lauthals begeisterte und nachdenklich ergriffene Expeditionsteilnehmer und Teilnehmerinnen aus allen Richtungen, entschieden, sich nicht um das vorgesehene Programm zu kümmern, sondern sich mit einem Espresso oder Wein auf der Terrasse zusammenzusetzen und konzentriert an der Auswertung der Expeditionsergebnisse zu arbeiten. Und glücklicherweise kam von den Organisatoren auch keiner auf die Idee, zur Ordnung (welche Ordnung?) zu rufen.
Die Tagung floatete zwanglos und konzentriert auf das Tagungsfest zu, das mit einer schön schrägen Karawanserei-Animation von und mit Mohamed El Hachimi begann. Das bedeutete schon wieder: keine Stammplätze an Stammtischen. Sondern rhythmisches Bewegen im Stehen und dazu großartig unsinnige kleine Texte singen, … kubakubakuba … ich habe Bindungsangst … bleibe bei mir …kubakuba …. Der Abend lief weiter in immer wieder sich ändernden Konstellationen drinnen und draußen. Tanzende, zuhörende, im Liegestuhl vor sich hin sinnierende, plauderne und lachende Menschen.
Am nächsten Vormittag die Frage: was tun mit den Expeditionsergebnissen und dem gefühlten Durcheinander? Das Umherschweifen wurde beibehalten, jetzt aber gelenkt und in den kleineren Rahmen innerhalb der Karawanserei gefügt. Besuche fanden statt bei den Expeditionsgruppen vom Vortag und ihren Präsentationen. Interviews vor Publikum auf der Bühne. Eine Klanginstallation, von Pius Morger aus Zürich in der Nacht komponiert aus akustischen Fragmenten, die Teilnehmer mit Mikrofonen an ihren Expeditionsorten gesammelt hatten. Ein Versuch, vor dem Plenum auf der Meta-Meta-Ebene Erkenntnisse aus Meta-Interviews zu generieren – war einen Versuch wert, zu dem Zeitpunkt aber eigentlich nicht mehr wichtig. Wichtiger schien die Erfahrung, dass und wie sich die Gäste der Karawanserei trotz etwas verwirrender Strukturierungsvorschläge der Organisatorinnen selbst organisierten und sich auf den Austausch ihrer Erzählungen von den Expeditionen konzentrierten. Es ging gar nicht um richtige, wahre und einzigartige Zusammenfassungen und Erkenntnisse der systemisch-ethnologischen Expeditionskarawanen, sondern um Erfahrungen und Geschichten. „Geschichten werden überliefert, überbracht, auf Reisen mitgenommen wie Gepäck, weitergetragen, erneuert, modifiziert, durch andere ersetzt. Die erzählten Geschichten bilden einen Kreislauf, wie Waren zum Tausch. Sie sind eine Art Muschelgeld.“ (Hans-Jürgen Heinrichs: Liebhaber des Fremden. Lettre International Frühjahr 2011)
Der erste Vortrag am zweiten Tag, gehalten vom Ehrenmitglied der SG, Professor Dr. Kenneth J. Gergen, konnte mit der inzwischen gewachsenen Kommunikation nicht mehr so richtig zusammenpassen. Den anschließenden, letzten Vortrag des Tages vom irischen Familientherapeuten Philip Kearny sowie den Ausklang der Tagung habe ich leider nicht mehr mitbekommen, ich war bereits auf den Weg in meine Heimat-Karawanserei in Köln – beschwingt und angeregt wie lange nicht mehr nach einer Tagung, ohne eindeutige Erkenntnisse, aber bereichert um Erfahrungen mit der Fremdartigkeit von Institutionen und schönen Begegnungen mit völlig fremden Menschen.
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