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02.04.2011
Tagungsbericht: Workshop-Tagung "Grenzen - Systeme - Kulturen" Marokko, Februar 2011
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Elisabeth Schmidt, Chur:
Eine systemische Fachtagung in Marokko? Als der Workshop-Kongress
"Grenzen - Systeme - Kulturen" vor einem Jahr das erste Mal stattfand,
reagierte ich skeptisch. Für eine Woche in die Wüste Marokkos zu
fliegen, um dort auf Fachkolleginnen und -kollegen aus dem
deutschsprachigen Raum zu treffen und Vorträge zu hören, die ich genauso
in Mitteleuropa geboten bekäme, anstatt etwas vom Land mitzubekommen,
erschien mir nicht ganz einleuchtend. Die durchweg positiven bis
begeisterten Rückmeldungen einiger Teilnehmer danach ließen meine
Vorbehalte jedoch bröckeln und machten mich neugierig. Das Programm von
diesem Jahr gab schliesslich den Ausschlag, sodass ich mich im Januar
kurzentschlossen für den 2. Workshop Kongress in Zagora/ Marokko vom
20.- 25.02.2011 mit dem Schwerpunktthema "Krisenintervention und
Persönlichkeitsentwicklung" anmeldete. Die Anreise wurde individuell organisiert. Für diejenigen, die nach
Marrakech flogen, gab es die Möglichkeit, gemeinsam mit einem Bus das
Altas-Gebirge zu überqueren. Mit einem Arbeitskollegen flog ich zunächst
nach Casablanca und am nächsten Tag nach Ouarzazate auf der
süd-östlichen Atlasseite, wo wir vom Bus mit den Marrakech-Reisenden
aufgesammelt wurden. Von dort führte die gut ausgebaute Strasse
kurvenreich durch karges, steiniges Bergland, welches in letzter Zeit
durch den Film "Babel" einen gewissen Bekanntsheitgrad erlangt hat.
Wieder hinunter im Draatal, das als eine der schönsten Gegenden Marokkos
gilt, ging es vorbei an ausgedehnten Dattelhainen, Lehmdörfern, auf
Eseln reitenden Menschen und eindrucksvollen Bergformationen auf der
anderen Flussseite, bis wir nach ca. drei Stunden in Zagora eintrafen.
Zagora ist eine kleine Stadt mit ca. 40.000 Einwohnern im Süden des
Landes, nicht weit von der algerischen Grenze entfernt. Ausserhalb der
Stadt, auf der anderen Seite des Flusses beim Dorf Amezrou, befindet
sich inmitten der Dattelhaine das Hotel Riad Lamane.
Location: Das Hotel Riad Lamane wurde vor einigen Jahren mit der Idee
gegründet, die wirtschaftliche Entwicklung in der Region auf nachhaltige
Art zu fördern und mit einem Teil der Einnahmen auch andere soziale
Projekte vor Ort, z.B. handwerkliche Frauenkooperativen oder Initiativen
zur Alphabetisierung der Bevölkerung, zu unterstützen. Wenn man durch
das Eingangstor in die wunderschöne Hotelanlage tritt, in der schon
Berühmtheiten wie Königin Sofia von Spanien nächtigten, sieht man sich
einem paradiesischen Garten mit lauschigen Sitzplätzen und Lauben wie
aus 1001 Nacht gegenüber. Die Häuser sind landestypisch aus Lehm gebaut
und rund um den Garten gruppiert, in die Ausgestaltung der Anlage wurden
lokale Künstler miteinbezogen. Von den meist einstöckigen Häuser mit
Dachterasse, welche an Hundertwasser erinnern, gleicht keines dem
anderen. Auch die Zimmer, meist Doppelzimmer mit Bad, sind bis ins
Detail liebevoll und individuell gestaltet. Am Morgen wurde man von
Vogelgezwitscher und traditionellem Flötenspiel geweckt, und während des
Frühstücks genossen wir die ersten Sonnenstrahlen auf diversen
Terassen. Für Frühaufsteher gab es die Möglichkeit, an einer
Morgenmeditation oder am gemeinsamen Joggen durch Palmenhaine und
Wüstensand teilzunehmen. Mittags und abends wurden wir im Restaurant,
einem Zelt in der Mitte der Anlage, vom freundlichen Personal mit
leckeren vier Gang-Menüs verwöhnt.
Für das leibliche Wohl und den seelisch-körperlichen Ausgleich war also
bestens gesorgt, so dass man sich gut auf die vielfältigen Inhalte
einlassen konnte. Jeweils am Vormittag fanden mehrstündige Workshops
statt, für welche man sich spontan entscheiden konnte, am Nachmittag und
Abend wurden weitere Vorträge angeboten. Die Veranstalter (Reto Mischol
und Felix Böhringer von psyseminare) hatten ein "praxisorientiertes
wissenschaftliches Programm" versprochen, in welchem es um Kommunikation
und Verstehen in unterschiedlichen Kontexten, Interventionen in
kulturell unterschiedlichen Systemen, Grenzen und Gemeinsamkeiten von
Krise und Entwicklung und ihre systemspezifische Relevanz gehen sollte. …was sich für mich zunächst nach einem sehr weiten Rahmen anhörte,
unter dem ich mir nicht viel Konkretes vorstellen konnte und deshalb
gespannt war, wie sich dieser Rahmen tatsächlich inhaltlich füllen
lassen würde.
Den neun fachlich sehr versierten Referentinnen und Referenten aus
Deutschland, Österreich und der Schweiz gelang es, ein breites Spektrum
von Therapie und Coaching über Organisationsberatung bis hin zu
kulturspezifischen Themen (Arbeit mit Migranten, internationale
Einsätze) abzudecken. Bei so viel interessanten Angeboten trieb morgens
nach dem Frühstück den einen oder die andere Teilnehmende die Qual der
Wahl um…
Den Auftakt machte am ersten Abend Jürgen Kriz mit einem
fulminanten Eröffnungsreferat zur Personzentrierten Systemtherapie.
Ein spannender Austausch fand auch im Workshop zu Wirkfaktoren der
Psychotherapie von Stefan Geyerhofer statt. Da die
TeilnehmerInnen selbst aus verschiedenen therapeutischen Richtungen
kamen, konnte eine "schulenübergreifende" Diskussion und
Methodenintegration stattfinden. Spontan wurden auch einmal zwei
Workshops zusammengelegt (was die Qual der Wahl reduzierte…). Aus
diesem Experiment entstand eine spannende Verknüpfung von praktischen
Übungen zu "selbst in Führung gehen" (Liane Stephan, Mohammed El
Hachimi) mit einer ergänzenden theoretischen Einordnung auf der
Metaebene (Jürgen Kriz). Neu und faszinierend war für mich die
Begegnung mit Humor in der Therapie und provokativen Ansätzen, welche Peter Hain anhand von Übungen, Fallvignetten und Rollenspielen
anschaulich und humorvoll vermittelte. Ebenfalls anhand von praktischen,
hypnotherapeutischen Übungen zeigte Susy Signer-Fischer auf, wie
in der Therapie der Lebenslauf beeinflusst und Lebensübergänge
gemeistert werden können.
Aus dem Workshop "Paarkrisen als Kulturkonflikte" (Tom Levold) nehme ich
u.a. mit, wie man unlösbaren Problemen begegnen kann - welche
wohlgemerkt nicht nur bei bikulturellen Paaren auftreten können: "was
lösbar ist, ist einen Umgang mit unlösbaren Problemen zu finden". Angelika Groteraths Vorträge und Workshops beeindruckten
durch ihr fundiertes Erfahrungswissen in Bezug auf Internationale
Organisationen - UNO wie auch NGOs - und durch konkrete eigene Beispiele
von Interventionen in Krisengebieten. Als Notfallpychologin hat mich
ihre nüchterne, kritsche Haltung gegenüber der aktuellen Praxis
angesprochen und hinsichtlich der Wichtigkeit, das eigene Handeln gut zu
reflektieren und dem kulturellen Kontext anzupassen.
Den Schlussvortrag hielt Andrea Lanfranchi zum Thema
"Krisenbewältigung bei Familien im Wandel" mit anschaulichen Beispielen
aus seiner systemischen Arbeit im Migrationskontext.
Besonders gefallen hat mir die gute Verbindung von Theorie und Praxis,
fachlichen Diskussionen und Selbsterfahrungsanteilen, sowie die
Möglichkeit, mit eigenen Fragestellungen auf die Referentinnen und
Referenten zugehen zu können, auch in Form von Einzelsupervision. Schön
und bereichend war auch, dass man zwischen den Veranstaltungen viele
Gelegenheiten hatte, die anderen Teilnehmer und Referenten persönlich
kennen zu lernen und sich auszutauschen, wozu die Gruppengrösse von ca.
50 Personen beitrug.
Das kulturelle Rahmenprogramm beinhaltete Ausflüge auf den Markt nach
Zagora oder zu anderen Sehenswürdigkeiten in der näheren Umgebung und
Besuche bei sozialen Projekten und Kooperativen. Lebhaft in Erinnerung
bleiben wird mir der Ausflug in die Wüste Mitte der Woche. Nach 2-3
Stunden auf dem Rücken eines Dromedars - man spürte allmählich diverse
Muskeln in verschiedensten Körperbereichen - erlebten wir einen
wunderschönen Sonnenuntergang. Während des Essens trat eine einheimische
Musikgruppe mit Bauchtänzerinnen auf, und anschliessend konnten wir
unter einem phantastischen Sternenhimmel und von beschwingter Musik
begleitet zusehen, wie die Berber ihr Brot im Sand backen (ohne dass es
danach zwischen den Zähnen knirscht…), oder - je nach Temperament -
um das Feuer tanzen.
Fazit: Was nehme ich also mit von einer Woche Workshop-Kongress in
Marokko? Neben einer ersten Begegnung mit dem Maghreb ganz sicher
wertvolle Anregungen in Bezug auf meine Arbeit: Ich habe den Eindruck,
die fachliche Auseinandersetzung in einem völlig anderen Kontext, mit
viel Abstand zum Alltag, hat meinen Blick im besten systemischen Sinn
"geöffnet", mir Möglichkeiten aufgezeigt bzw. wieder in Erinnerung
gerufen, sodass ich nach der Rückkehr mit neuer Experimentierlust und
Freude an die Arbeit gegangen bin. Desweiteren Impulse durch gute
Begegnungen und interessante Gespräche in einer sehr wohltuenden und
schönen Umgebung.
Trotz der Möglichkeiten zu kulturellen Einblicken im Rahmenprogramm
bleibt kritisch anzumerken, dass der Kulturaspekt in vielen Beiträgen zu
kurz kam. So war beispielsweise die aktuelle politische Situation, die
Umwälzungen in der arabischen Welt, nur in den Tischgesprächen ein Thema
und fand kaum Eingang in die fachliche Auseinandersetzung. Auch hätte
ich mir gewünscht, dass eine stärkere Rahmung des Kongresses in Bezug
auf das Thema "Grenzen - Systeme - Kulturen" stattgefunden hätte,
beispielsweise eine inhaltliche Integration im Rahmen einer
abschliessenden Podiumsdiskussion.
Falls dieser Bericht Neugierde und Reiselust geweckt
haben sollte: Die Veranstalter haben verlauten lassen, dass die
Vorbereitungen für "Marokko 2012" bereits angelaufen sind und schon
einige namhafte Referentinnen und Referenten gewonnen werden konnten.
Weitere Infos sind zu finden unter: www.psyseminare.com.
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