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Veranstaltungsbericht |
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01.10.2009
Familienrat - Family Group Conference (FGC). Tagung vom 17.-18.09.2009 in Stuttgart
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Andreas Hampe-Grosser, Potsdam & Heike Hör, Stuttgart:
Vom 17.-18.09.2009 fand das 3. bundesweite Netzwerktreffen zum Thema Familienrat — Family Group Conference (FGC) in Stuttgart statt. Teilgenommen haben über 100 Teilnehmer/-innen aus dem Bundesgebiet. Vertreten waren u.a. Kollegen/-innen aus Stuttgart, Augsburg, München, Hamburg, Köln, Kassel, Dresden, Main-Taunus-Kreis, Frankfurt/Main, Berlin und Braunschweig. Familienrat/Family Group Conference ist keine neue zusätzliche sozialpädagogische Methode, sondern stellt ein Konzept mit einer neuen Haltung zur Hilfe dar, die umfassende
Partizipation fördert und fordert, woraus eine andere
Organisation von Entscheidungsfindungsprozessen resultiert. Ausschlaggebend für die Entstehung des Familienrates/FGC war das bürgerrechtliche
Engagement der Maori in Neuseeland in Abgrenzung zur dortigen britisch-kolonial
geprägten Jugendhilfe, die schließlich Ende der 1980er Jahre zu einer
Veränderung der Jugendhilferechtssprechung in Neuseeland führte. So wurde
FGC über die englischsprachigen Länder nach Europa getragen und ist
nun seit einigen Jahren auch in Deutschland angekommen. Die Netzwerktreffen bieten den bundesdeutschen Praktiker/innen jährlich die Gelegenheit zum Austausch über gesammelte praktische Erfahrungen und die Weiterentwicklung des Familienrat-Konzeptes in Deutschland. Dem Netzwerktreffen ging ein Fachvormittag voran, der rund 160 Interessierten aus der Region erste spannende Einblicke in die Arbeit mit Familienrat ermöglichte. Nach der motivierenden Eröffnung durch den Jugendamtsleiter der Stadt Stuttgart, Herrn Bruno Pfeifle, stellte Rob van Pagee das seit über 10 Jahre bewährte niederländische Modell der FGC vor: Eigen Kracht (aus eigener Kraft). Anschließend wurden Evaluationsergebnisse der Erfahrungen eines Projektes aus dem Bezirk Berlin-Mitte präsentiert, die nunmehr auch auf einen Zeitraum von knapp 4 Jahren zurückgreifen. U.a. wurde durch die Evaluation deutlich, dass das Verfahren für alle Familien in der Jugendhilfe Anwendung finden kann. Insgesamt 19 Problemmerkmale bzw. anlassgebende Kriterien konnten herausgefiltert werden, darunter Sucht, Kinderschutz, psychische Erkrankung u.a.m. In der Eröffnung des Netzwerktreffens am Nachmittag stellte Herr Pfeifle die Erfahrungen des Stuttgarter Jugendamtes in der Experimentierphase zur Einführung des Familienrates vor: In elf Familienräten konnten die Akzeptanz und Nachhaltigkeit von erarbeiteten Hilfeoptionen gesteigert werden, die Beteiligung der Betroffenen an Erstellung und Durchführung der Hilfen sowie der Anteil an Unterstützung durch das familiäre Umfeld konnte erhöht werden. Die Adressaten wurden stärker in ihrem Umfeld vernetzt. Entscheidungsfindungen vor Gericht konnten verhindert werden und teilweise fanden Familien Lösungen bereits in der Vorbereitungsphase. Monika Painke vom Jugendamt Stuttgart gab anschließend einen Überblick über die Arbeit in insgesamt 16 Wiedergutmachungskonferenzen (Restorative Justice) und Familienräten im Rahmen der Täter-Opfer-Arbeit der Stadt Stuttgart. Das Netzwerktreffen bot den Teilnehmern/innen im Anschluss einen Überblick über die Entwicklung des Family Group Conference/Familienrat-Modells in den verschiedenen deutschen Regionen, insbesondere Informationen über die wichtigsten Herausforderungen, Hindernisse, praktische Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse. Zur weiteren Koordinierung des Austausches wurde abschließend eine Aufteilung in folgende Regionen vorgeschlagen und beschlossen: Süd-Ost (z.B. Augsburg, Bamberg, etc.), Süd-West (Stuttgart etc.), Mitte (z.B. Main-Taunus-Kreis etc.), Nord-Ost (z.B. Berlin, Dresden, etc.), Nord-West (Köln etc.) und Nord (z.B. Nordfriesland, Hamburg usw). Diese grobe Aufteilung orientiert sich an bestehenden lokalen Familienrat(FGC)-Initiativen. Jede Region wählte einen (bzw. zwei) regionale Netzwerk-Verantwortliche, die die Aktivitäten in ihrer Region up-to-date halten und z.B. relevante Informationen in das Netzwerk einspeisen und Nachrichten aus den anderen Regionen weiterleiten. Schließlich wurden in mehreren Workshops die Erfahrungen zu den unterschiedlichsten Themen ausgetauscht: Erste Schritte bei der Einführung von Familienräten, Vor- und Nachteile unterschiedlicher Modelle der Koordination, Familienrat und Wiedergutmachungskonferenz, Beteiligung von Kindern, Familienrat in unterschiedlichen kulturellen Kontexten, Bundesweite Ausbildungsstandards usw. Deutschland befindet sich bei der Etablierung des Familienrates als Hilfeinstrument ähnlich wie Russland, Slowakei oder Polen noch in der Anfangsphase der Entwicklung. Die skandinavischen Länder Norwegen, Finnland, Dänemark, Schweden haben wie England, Wales, Schottland, Belgien und Holland bereits mehrjährige Erfahrungen in der Organisation von FGC und sind in der politischen und juristischen Auseinandersetzung bereits soweit vorangeschritten, dass die Integration von FGC in die jeweiligen familienrechtlichen Maßnahmenkataloge diskutiert werden. Das heißt konkret, dass FGC in mehreren Staaten eine subsidiäre Anwendung findet. Bevor ein Kind etwa im Rahmen einer Fremdunterbringung seine Familie verlassen muss, muss eine Family Group Conference organisiert werden, um zu prüfen, inwieweit die Familie einen eigenen Plan (und welchen )entwickeln kann, um Fremdunterbringung zu vermeiden). Prof. Dr. Ute Straub von der Fachhochschule in Frankfurt/Main stellte in diesem Zusammenhang die europäische Fachdiskussion dar. Auch europaweit findet jährlich ein Netzwerktreffen statt. In diesem Jahr ist Polen Gastgeber zum 7. Europäischen FGC Network-Meeting. Besondere Bedeutung kommt auch dem Bundesmodellprojekt zu Familiengruppenkonferenz der Fachhochschule Münster und der IGFH zu, welches mit seinen Ergebnissen in einer Buchveröffentlichung im Juventa Verlag dokumentiert ist. Die ganz spannende Frage, die sich aus dem Modell des Familienrates/FGC ergibt, ist, ob professionelle Sozialdiensleister davon Abstand nehmen können, besser zu wissen, was für andere Menschen gut ist, und statt dessen diese darin unterstützen, eigene Lösungen zu finden. Der Familienrat/FGC kann dazu beitragen, soziale Hilfen zu „entkolonialisieren“. Das nächste bundesweite Familienrat/FGC-Netzwerktreffen findet im Herbst 2010 in Frankfurt/Main statt.
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