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systemagazin-Adventskalender: "Von Klienten lernen"

Peter Fuchs: Die Verstärkung


Ich habe seit vielen Jahre und in den verschiedensten (praktischen, beruflichen, familiären und dann auch theoretischen) Lebenskontexten mit behinderten Menschen zu tun. Dafür mag es wie für jede Art von Engagement ein ganzes Konvolut undurchschaubarer Gründe geben. Es ist deswegen für mich ein Glücksfall, dass ich mich daran erinnern und dann davon erzählen kann, wie meine diffuse Voreingenommenheit für Behinderte geradezu schlagartig umkippte in eine Normalität des Ernstnehmens, durch die der pathetische Unterton jenes Engagements dauerhaft unmöglich wurde.
Ich war 1972 Zivildienstleistender in Lüdenscheid und eingesetzt in einer Behinderteneinrichtung der Diakonie. Ziemlich zu Beginn meiner Tätigkeit hatte ich die Aufgabe, eine Behindertenfreizeit zu begleiten, die in das tief verschneite Hochsauerland in der Nähe von Winterberg führte. Das Schullandheim bestand aus mehreren Pavillons, auf die die behinderten Kinder und Jugendlichen nach Altersgruppen verteilt wurden, unabhängig von ihrer Herkunft aus verschiedenen Heimen der Diakonie in Nordrhein-Westfalen. Ich erinnere mich, dass ich auf das mir zugewiesene Gebäude zuging. Hinter dem leicht beschlagenen Fenster neben der Tür stand ein Jugendlicher, der mich beim Näherkommen zu beobachten zu schien. Er war unglaublich hässlich: ein Riesenkopf auf einem demgegenüber viel zu kleinen, mageren und irgendwie verrenkt wirkenden Körper, ein schiefgezogener Mund, wenige dunkelblonde Haare. Er war mir, wenn man so will, von diesem ersten Anblick her physisch widerwärtig. Dazu kam, dass die körperliche Beeinträchtigung verbunden war mit einer geistigen Behinderung. Jedenfalls konnte er sich sprachlich nicht verständigen.
Es war damals noch möglich, dass man als Zivildienstleistender den Abend- und Nachtdienst auf den Stationen (so hießen die Pavillons) allein versehen musste. An einem Abend, an dem ich Dienst hatte, geschieht folgendes: Zwei der Jugendlichen geraten in Streit. Sie schubsen sich, einer von ihnen fällt in die Glastür zur Küche, das Glas bricht. Eine Blutfontäne spritzt meterweit. Die Halsschlagader ist durchtrennt. Ich hatte irgendwann einmal gelesen, dass man mit dem Daumen in die Wunde drücken muss, um den Blutfluss zu stoppen, aber auch, dass man dies nur kurze Zeit tun kann. Ich kniee über dem Jungen, presse den Daumen in die Schnittstelle. Das Telefon ist nicht erreichbar. Ich schreie um Hilfe, aber die nächsten Pavillons sind zu weit weg. Franz, so hieß der hässliche Junge, steht neben mir, blutverschmiert, dreht sich um, verlässt das Haus, geht zum nächsten Gebäude. Dort zeigt er sich einfach. Hilfe kommt. Glücklicherweise ist unter den Betreuern ein ehemaliger Bergwerksanitäter.
Aber das ist nicht die Geschichte. Sie fängt für mich an, als der schwer verletzte Junge ins Krankenhaus gefahren wird und wir inmitten des blutigen Chaos sitzen und uns bemühen, das Erlebte zu verdauen. Franz dagegen sucht etwas, er öffnet den Besenschrank, nimmt einen Schrubber, einen Eimer, einen Feudel, holt heißes Wasser … und beginnt zu putzen, gleichmäßig, unaufgeregt, unendlich beruhigend und ganz ohne einen Hauch von Pathos.
Und das ist es, was ich erzählen wollte – ganz ohne Theorie, einfach nur so.



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