Und hier noch ein passend zorniger Beitrag zum Ereignis von Elke Heidenreich im FAZ.net: Reich-Ranickis gerechter Zorn. Und ein weiterer sehr lesenswerter Artikel von Harald Martenstein in der Online-Ausgabe des Tagesspiegel: "Kultur kann mehr, im Fernsehen, in der Literatur, überall. Es ist möglich, die Welt aus einem anderen Blickwinkel zu sehen, es ist möglich, etwas zu durchschauen, es ist möglich, erschüttert, entzückt oder wütend zu sein. Kitsch schafft das nicht, Kalauer schaffen das nicht. Ein Fernsehen, das sich so präsentiert, als sei es nicht statthaft, über Kitsch und über Kalauer hinauszudenken, schafft sich als kulturelle Institution selber ab. Es wird zu einer Zeittotschlagsmaschine für die Ungebildeten, die anderen wandern ins Internet ab. Dort gibt es alles."
Nachdem Lothar Eder auf seinen Beitrag zur "Lehrbuchdebatte" eine Antwort von Jürgen Hargens bekam und gestern darauf noch einmal seine Argumentation bekräftigte, hat sich auch Jürgen Hargens noch einmal zu Wort gemeldet und Passagen aus dem Text von Lothar Eder kommentiert: "Lothar Eder hat Recht! Und ich auch! Und nun? Vielleicht ein Bob Dylan-Zitat: 'You’re right from your side, I’m right from mine. We’re both just one too many mornings an’ a thousand miles behind.' Ich danke Lothar Eder für seine Anmerkungen, denn das bringt mich immer wieder dazu, über Gesag-tes, Geschriebenes und anderes nachzudenken. Und das möchte ich nutzen - um einige meiner Ge-danken offen zu legen. Ich werde es so machen, dass ich Eders Text wiedergebe und einige meiner Reflexionen hineinschreibe. Das ist für mich am einfachsten. Zu meiner Absicht bzw. zu meinen Voraussetzungen: es geht mir nicht darum, herauszuarbeiten, was richtig (oder gar wahr) ist, sondern es geht mir einfach darum, auf Unterschiede aufmerksam zu ma-chen - Unterschiede, die auf den Unterschied von Epistemologie und Ontologie verweisen, so wie ich es bei Bateson verstanden habe. Epistemologie bezieht sich darauf, wie wir erkennen erkennen oder wissen, wie wir wissen. Ontologie bezieht sich darauf, gültige (richtige) Aussagen und Beschreibungen zu liefern." Zum vollständigen Text…
Wie wunderbar, dass die Debattenfreude im systemischen Feld anhält. Wer die Einträge der letzten Tage aufmerksam beobachtet hat, hat mitbekommen, dass ein Diskussionsbeitrag von Lothar Eder über die Nützlichkeit des Krankheitsbegriffs als Beitrag zur "Lehrbuchdebatte" mit dem Titel "Beim Kirschenklauen erwischt" eine Replik von Jürgen Hargens nach sich zog, mit dem Titel: Iss nicht so viele Kirschen, du verdirbst dir den Magen. Darauf antwortet wieder Lothar Eder mit einer Verteidigung seiner metapherntheoretisch begründeten Argumentation, dass der Körper dem sozialen Konstruieren eben bestimmte Grenzen setzt: "Phänomene unserer Erfahrung und auch die Sprache dafür, so sollte in Kürze gezeigt werden, orientieren sich an einer Grundmatrix, die vorgegeben ist, einer Art A priori, wie Kant es für die Zeit und den Raum als vorgegebene Prinzipien der Erkenntnis behauptet hat. Der Körper, unsere Körperlichkeit wäre folglich ein Bedeutungsspender, der Erfahrung und Sprache vorstrukturiert. Und auch wenn jemand diese These weit von sich weist, hat er oder sie damit eine mentale und sprachliche Operation vollzogen, die er (sie) nur mit Bezug auf den eigenen Körper tätigen kann. Denn: Gedanken und Gefühle kennen, da sie nicht-physischer Natur sind, keine räumliche Ausdehnung." Alle Leserinnen und Leser sind herzlich zur Teilnahme an der Diskussion eingeladen. Zum Text von Lothar Eder…
Zu Lothar Eders Beitrag zur "Lehrbuchdebatte", der vorgestern an dieser Stelle erschien, hat Jürgen Hargens einen Kommentar verfasst. Darin kritisiert dieser Eders These, dass Patienten und "Krankenkassen" keine Erkenntnistheorie hätten, sondern einen eher pragmatischen Zugang zum Konzept der Krankheit pflegen würden: "Ich glaube (ich sage bewusst: glaube), dass auch PatientInnen, KlientInnen, KundInnen eine Erkenntnistheorie haben (MitarbeiterInnen von Krankenkassen meiner Überzeugung nach auch. Krankenkassen wohl eher nicht, denn Erkenntnistheorien sind für mich an Personen gebunden) - sie suchen, so mein Bild, nach einer guten (d.h. für sie selbst überzeugenden) Erklärung dessen, was sie „haben“ (ihr sog. Symptom). Nur ist diese Erkenntnistheorie nicht auf der Basis der vorherrschenden Wissenschaft entwickelt." Zum vollständigen Text…
Beim Kirschenklauen erwischt, oder: Wer nicht krank ist, braucht auch keine Therapie". So betitelt Lothar Eder seinen klugen "weiteren Beitrag zur 'Lehrbuchdebatte'" für die Systemische Bibliothek, die an dieser Stelle bereits intensiv geführt worden ist. er kritisiert dabei sowohl die Kritiker des Lehrbuches als auch die Autoren und bringt eine interessante Wendung in die Debatte, nämlich eine Rückbindung sprachlicher Konstruktionen an ihre körperbezogenen Wurzeln. Aus dieser, metapherntheoretisch unterfütterten Argumentation, verliert der Krankheitsbegriff für ihn die Anrüchigkeit: "Angestoßen durch den Beitrag von Jürgen Hargens im systemagazin (v. 29.1.2008) als Reaktion auf Jochen Schweitzers und Arist von Schlippes 'Erwiderung an ihre Kritiker' ebenfalls vom Januar 2008, möchte ich im Rahmen der sogenannten 'Lehrbuchdebatte' erneut versuchen, einige Überlegungen beizusteuern. Dabei erscheinen mir sowohl die Position von Schweitzer / v. Schlippe als auch die vielleicht prototypisch für 'die Kritiker' stehenden Anmerkungen von Hargens diskussionswürdig. Die beiden Autoren des Lehrbuchs I und II scheinen sich, so lassen sich einige Passagen ihrer Erwiderung deuten, ihrer Sache mit dem Krankheitsbegriff nicht so ganz sicher zu sein. Möglicherweise ist die Reaktion auch vor dem Hintergrund eines nicht erwarteten und doch recht scharfen Gegenwindes eines größeren Teils der systemischen Szene zu verstehen. Jedenfalls stellen Arist v. Schlippe und Jochen Schweitzer in ihrem Beitrag heraus, sie hielten ja selbst auch nichts vom üblichen Krankheitskonzept, aber man müsse eben in den sauren Apfel beißen, wenn man mit von der Partie sei wolle. Das klingt ein wenig nach einem Geständnis, wenn man beim vermeintlichen Kirschenklauen erwischt worden ist, sein Handeln aber damit verteidigt, man habe es nur im Dienst der Gemeinschaft getan. Man ist dann gewissermaßen ein guter Kirschendieb (d.h. ein 'guter, weil systemisch reflektierender Verwender des Krankheitsbegriffs') im Gegensatz zu denen, die das ohne Gewissensbisse tun (also 'die' 'Vertreter' des 'traditionellen' Gesundheitssystems)." Zum vollständigen Text…
Al Gore, ehemaliger Vizepräsident der USA unter Bill Clinton, der für seine Bemühungen um eine Bewusstmachung der anstehenden Klimakatastrophe 2007 den Friedensnobelpreis erhalten hat, hat für seine Präsentationen, die auch als Kinofilm weltweit erfolgreich waren, viel Anerkennung bekommen. In einer beschwörenden, relativ kurzen Vorstellung seiner neuen Präsentation, die online bei TED zu sehen ist, macht er nachdrücklich auf die Dringlichkeit aufmerksam, mit der die Politik und die Bevölkerungen auf die neuen klimatischen Entwicklungen reagieren müssen.
In der aktuellen Ausgabe der "Gazette" nimmt sich Lenz Rossbach eine Ministerrede von Wolfgang Schäuble vom 7. November 2007 auf der Justizpressekonferenz in Karlsruhe vor, in der dieser (oder sein Redenschreiber, der "Winkelschreiber"?) seine persönliche Vision des staatlichen Gewaltmonopols staatstheoretisch absichern möchte. Da dies nicht nur gründlich daneben geht, sondern auch Schlimmstes befürchten lässt, sei der Text zur Lektüre wärmstens empfohlen. Der Autor resümiert selbst: "Und was wäre, wenn der nun einmal obwaltende Rechtfertigungszwang, vernünftig zu sein, auch für diese Rede gälte? Würde der Minister sie dann noch halten dürfen? Sind hier tatsächlich Quellen richtig gewürdigt, die Begriffe sauber definiert, alle Argumente vernünftig vorgetragen, ist die Diskussion sachlich, ohne rhetorische Überwältigung geführt? Man zögert, auch nur eine dieser Fragen zu bejahen. Es ist eine schiefe, unsaubere, oft absurde und im Ganzen gewalttätige Rede. Sie ist eines Ministers, der noch in seinem Amtseid die Verfassung und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen“ wollte, unwürdig. Denn vor allem: Der Text verlangt eine andere Verfassung, und zwar eine, die dem staatlichen Gewaltmonopol einen möglichst unbeschränkten „Spielraum“ verschafft. Der Text verlangt den vordemokratischen Staat der Exekutive. Er erklärt die demokratische Gewaltenteilung zur Gefährdung der geplanten Hochsicherheit. Einen kleinen Schritt weiter, und er ist offen verfassungsfeindlich. Das Dumme ist jetzt nur: Der Minister hat die Rede tatsächlich gehalten." Zum vollständigen Text…
Wenn Gesundheit als Ware auf dem Markt gehandelt wird, hat dies Auswirkungen. Welche Wirkungen und Chancen, aber auch Risiken und Nebenwirkungen das für die helfenden Beziehungen hat, diskutieren am 18. und 19.4.2008 im Kulturzentrum PFL Oldenburg (Oldb.) Wissenschaftler, Therapeuten, Anbieter und Nutzer des Gesundheitswesens. Es ist Ziel der Veranstalter, konkrete Visionen mit allen Anwesenden zu entwickeln. systemagazin hat bereits auf diese Tagung hingewiesen. Wie die Veranstalter mitteilen, soll es auch um den hier vorgestellten vorbereitenden Antrag der „Arbeitsgruppe Aktualisierung der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen – ICD 11“ (AAICD-11) gehen und um eine Petition dazu, anhand derer die Veranstalter verdeutlichen wollen, welche Folgen und Nebenwirkungen des "Ökonomisierungswahns" sie sich nicht in unserem Gesundheitswesen wünschen: z.B. Inflation auf der Seite der Diagnosen.
systemagazin ist von interessierter Seite ein internes Arbeitspapier der "Arbeitsgruppe Aktualisierung der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen - ICD 11" zugespielt worden, die als Zusammenschluss forschender Psychiater und Psychotherapeuten aus dem Bereich namhafter Verbände, Institute und Kliniken mit Schwerpunkt auf dem Gebiet der deutschsprachigen Sozialpsychiatrie damit befasst ist, Vorschläge für eine Aktualisierung des derzeitig gültigen ICD-10-Kataloges zu entwickeln. Die vorliegende, vertrauliche Passage gilt der Einführung einer neuen umschriebenen Störungskategorie im Bereich der bereits bekannten spezifischen Persönlichkeitsstörungen sowie anderen Persönlichkeitsstörungen und anhaltenden Persönlichkeitsänderungen. Diese Kategorien werden im bisherigen ICD-10-Katalog unter den Ziffern F60 – F62 beschrieben und katalogisiert. Die neu zu katalogisierende Störung soll mit „ICD 11 F 62.2 - andauernde Persönlichkeitsstörung nach tief greifender sozioökonomischer Belastung – Ökonomisierungswahn“ überschrieben werden. Da in den letzten Monaten auch im systemagazin eine heftige Debatte um das "Störungsspezifische Wissen" in der systemischen Therapie zu verzeichnen war, sind alle Leserinnen und Leser herzlich eingeladen, ihre Meinungen und Kommentare über die Einführung dieser neuen Diagnose an dieser Stelle beizusteuern. Zum Entwurf des neues Störungsbildes…
Im Januar veranstaltete die Systemische Gesellschaft in Berlin eine außerordentliche Mitgliederversammlung zum Thema "Qualität" in der systemischen Arbeit und Weiterbildung, um die Einführung von Qualitätsarbeit in die Verbandarbeit zu überprüfen. Im Anschluss an diesen gewinnbringenden Tag, der mithilfe eines Open Space eine Vielzahl von Ideen und Perspektiven hervorbrachte, haben Hans-Joachim Görges & Jürgen Hargens ein Papier zum Thema systemischer Qualität erstellt, den sie als Diskussionsbeitrag, d.h. als Einladung zur Diskussion, im systemagazin veröffentlichen.
In einer Pressemeldung vom heutigen Tage bekräftigen die Vorstände von SG und DGSF ihre "weiterhin gute Zusammenarbeit", an der aber bislang eigentlich niemand so recht gezweifelt hat. Am 26.1. hat ein Treffen der Vorstände stattgefunden, in der Meldung wird ein Überblick über die Themen gegeben, die diskutiert wurden. Positionen, Forderungen, Egebnisse oder Absichtserklärungen sind leider in der Meldung nicht zu finden. Vielleicht darf man ja demnächst mit konkreteren Formulierungen rechnen. Zur vollständigen Meldung…
Am 15. Januar 2008 hat das OVG Nordrhein-Westfalen mit einstimmigem Beschluss ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln verworfen, mit dem die Eignung der Gesprächspsychotherapie für die staatliche Ausbildung von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten mit dem Hinweis auf eine fehlende positive Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie bestritten worden war. Wie in einer aktuellen Mitteilung der Gesellschaft für wissenschaftliche Gesprächspsychotherapie (GWG) deutlich wurde, ist dieses Urteil aber darüber hinaus von größter Bedeutung für die gesamte Diskussion um die Frage der wissenschaftlichen Anerkennung von Psychotherapieverfahren und wirft auch noch einmal ein neues Licht auf die Anstrengungen zur Anerkennung der Systemischen Therapie durch den Wissenschaftlichen Beirat: "Die bisher erfolgreich scheinende Versuch der Protagonisten im Wissenschaftlichen Beirat, sich als Wissenschaftsgericht mit dem alleinigen Besitz der Wahrheit über Wissenschaftlichkeit auszugestalten, ist damit wohl beendet." In dem Urteil heißt es unter anderem: "Der … zentrale Begriff der ‚wissenschaftlich anerkannten psychotherapeutischen Verfahren’ wird im Psychotherapeutengesetz nicht definiert. Ebenso wenig enthält das Gesetz konkretisierende und der Präzisierung dieses Begriffs dienende Elemente bezüglich der Anforderungen für die wissenschaftliche Anerkennung psychotherapeutischer Verfahren. Der Begriff bedarf deshalb der Auslegung. Dabei liegen Schwierigkeit und zugleich Dilemma darin, dass bestimmte Abläufe und Ergebnisse in der Wissenschaft kontrovers bewertet und beurteilt werden mit der Folge, dass sich wegen dieser Unsicherheit häufig kein einheitliches Bild und keine übereinstimmende Bewertung für eine wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens oder einer Methode ergibt. Dies gilt in besonderem Maße gerade auch für die Psychotherapie, bei der dementsprechend der Konsens unter den Psychotherapeuten über die Wertung und Anerkennung psychotherapeutischer Methoden nur sehr gering ist. (…) Vor dem dargelegten Gesetzeshintergrund erscheint es dem Senat deshalb nicht geboten, die Anerkennung eines psychotherapeutischen Verfahrens (ausschließlich) von einem durch Studien belegten und nachgewiesenen Wirksamkeitsnachweis abhängig zu machen. Ein entsprechender Wirksamkeitsnachweis ist zwar ein nicht unerhebliches Indiz für die Anerkennung und Anerkanntheit eines Verfahrens, kann angesichts der Gesetzesintention, dass einerseits die Qualität der Ausbildung als Psychotherapeut gesichert werden soll und andererseits bei der Ausübung von Psychotherapie die Missbrauchsgrenze relevant ist, aber nicht als allein entscheidendes Kriterium angesehen werden. (…) Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut des § 11 PsychThG, wonach über die wissenschaftliche Anerkennung eines Verfahrens die zuständige Landesbehörde entscheidet und sie ihre Entscheidung in Zweifelsfällen auf der Grundlage eines Gutachtens des wissenschaftlichen Beirats treffen soll, steht allein der zuständigen Landesbehörde [...] die Entscheidungskompetenz zu, während dem wissenschaftlichen Beirat mit der Aufgabe der Erstellung eines Gutachtens in Zweifelsfällen als Grundlage für die behördliche Entscheidung lediglich eine Beratungsfunktion, nicht aber eine Entscheidungsbefugnis zugewiesen wird. [...] Diese gesetzlich vorgesehene Zuteilung von Entscheidungs- und Beratungskompetenzen hat die Beklagte bei der den Gegenstand dieses Verfahrens bildenden Entscheidung verkannt, weil sie sich [...] ausschließlich auf die Bewertung und Einschätzung des wissenschaftlichen Beirats zur Eignung der Gesprächspsychotherapie als Ausbildung für die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen bezogen hat, ohne eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Den Stellungnahmen des wissenschaftlichen Beirats kommt auch im Übrigen keine Verbindlichkeit in dem Sinne zu, dass darauf die Ablehnung des klägerischen Begehrens gestützt werden kann." Die vollständige Presseerklärung der GWG sowie ein Kurzkommentar von Wolf Waniger findet sich hier. Den vollständigen Text des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichtes NRW ist hier nachzulesen…
Nach der Erwiderung von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe auf die Kritiken an ihrem "Lehrbuch" über störungsspezifisches Wissen der systemischen Therapie, die in der letzten Woche im systemagazin veröffentlicht wurde, wird die Diskussion heute von Jürgen Hargens fortgeführt, der auf die Argumentation der beiden Autoren kritisch eingeht. Sein Beitrag kann nicht nur hier online verfolgt werden, sondern auch im Zusammenhang mit den Kritiken auf der Seite der Buchbesprechungen.
Jürgen Hargens: Im Gespräch bleiben oder: Entscheidungen/Konstruktionen können auch unbeabsichtigte Konsequenzen haben
"Ich freue mich, dass Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe sich zu den Reaktionen auf das Lehrbuch II geäußert haben, denn das ist für mich ein Teil der systemischen Idee „im Gespräch zu bleiben.” Und ein zweites ist für mich mit der Idee „im Gespräch bleiben” verbunden – Systemisches betont Vielfältigkeit, würdigt Unterschiede und verzichtet darauf, immer und in jedem Fall einen Konsens herstellen zu müssen. Insofern greife ich das auf, wo ich Unterschiede festmache, von denen ich denke, dass es bedeutsam sein könnte, solche Unterschiede nicht zu verwischen. Ich werde so vorgehen, dass ich (1) zunächst noch einmal meine grundsätzliche Position skizziere und dann (2) einige Passagen der Erwiderung aufgreife (kursiv gesetzt) und meine Ideen dazu offen lege.…
Kann es etwas Schöneres für ein Buch (und seine Autoren) geben, als dass es diskutiert wird? Seit fast einem Jahr ist eine Debatte um das sogenannte Lehrbuch II zum störungsspezifischen Wissen von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe entbrannt, die es in einer solchen Lebendigkeit in der systemischen Szene schon länger nicht mehr gegeben hat. Ein guter Teil dieser Diskussion ist übrigens im systemagazin geführt worden. Vor diesem Hintergrund freue ich mich, heute eine ausführliche Erwiderung der Autoren auf die Kritik an ihrem Buch präsentieren zu können: "…Um es deutlich zu sagen: Wir denken nicht, dass systemische Therapie künftig primär störungsspezifisch arbeiten soll und wird. Der größere Teil aller Entscheidungen, die Therapeuten zu treffen haben, hängt mehr von den aktuellen Lebensumständen und Beziehungsmustern, sowohl des Klientensystems, als auch des zwischen diesem und den TherapeutInnen gebildeten Therapiesystems zusammen. Aber: die systemische Therapie hat auch zahlreiche störungsspezifische Kompetenzen, Wir haben uns in unserem Buch daher für den Fokus auf das störungsspezifische Wissen entschieden, weil uns hiermit ein bedeutsamerer Unterschied zu bisherigen Publikationstraditionen möglich scheint…." Um die Erwiderung im Zusammenhang mit den Kritiken lesen zu können, findet sie sich sowohl auf der Seite der Buchbesprechungen als auch in der Systemischen Bibliothek. Eine Weiterführung der Diskussion wäre wünschenswert, auf der Jahrestagung der SG im April in Berlin wird sie einen wichtigen Platz einnehmen.
heute ist das systemagazin Forum für einen aktuellen Diskussionsbeitrag von Michael Schlicksbier-Hepp aus Wilhelmshaven, der sich als Kinder- und Jugendpsychiater kritisch mit dem aktuellen Kinderschutz-Diskurs auseinandersetzt. Die Leserinnen und Leser sind zu Kommentaren und Erwiderungen ausdrücklich eingeladen!
Es ist ein gutes Jahr her - Anlass war der unselige "Fall Kevin" in Bremen, als ich Folgendes als Antwort auf das große Rumoren in der Politik mit der populistischen Forderung schrieb, dem Verbrechen an Kindern und der Vernachlässigung von Schutzbefohlenen mit noch mehr Kontrolle beizukommen:
"Ich misstraue aus Erfahrung auch den gut gemeinten Verordnungen zur Kontrolle und zum Zwang auf dem sozialen und medizinischen Sektor und glaube, dass solcher Art Problemlösungen viele neue Probleme aufwerfen. Zwang und Kontrolle sind letzte Mittel, die ausgerechnet bei den skandalösen Tragödien trotz vorheriger Hinweise grotesk versagen. Man sollte daher sehr viel mehr Geld und Ressourcen in Förderung und sozialmedizinische und -psychologische Angebote ohne Zwang mit niedrigen Zugangsschwellen stecken und die allgemein zunehmende Kinderarmut zum Thema eines gesellschaftlichen Umdenkens machen, in dem wir alle unsere Verantwortung an diesen Zuständen erkennen, statt empört aber doch skandallüsternd mit Schuldvorwürfen auf exemplarisches Versagen hinzuweisen, um gleichzeitig von unserer Mitverantwortung abzulenken."