Saturday, October 26. 2013
In einem Beitrag für die Zeitschrift „Lernende Organisation“ (Heft 9 2002) hat Wolfram Lutterer, einer der besten Kenner von Gregory Bateson hierzulande, eine Zusammenfassung von Batesons Kommunikationstheorie veröffentlicht, die sich auch kritisch mit der Vereinnahmung von Bateson durch die Vertreter des NLP auseinandersetzt: „Batesons Studien zu Paradoxien in der Kommunikation, die im Rahmen einer kleinen Forschergruppe von 1952 bis 1962 im kalifornischen Palo Alto durchgeführt wurden, stimulierten nicht nur die Begründung von moderner Familientherapie und systemischer Therapie, sondern neben dem NLP auch die von Paul Watzlawick formulierte ,pragmatische Kommunikationstheorie’. Während sich hierbei Watzlawick und das NLP im Interesse an Therapie (wie auch der Manipulation) recht einig zu sein scheinen, unterscheiden sich beide in ihrem Theorieaufgriff. Während sich Watzlawick mit den eher klassischen Studien von Batesons Forschergruppe in Palo Alto begnügt und spätere erkenntnistheoretische Arbeiten Batesons außer acht läßt, griffen die NLPler auf ein weiteres Jahrzehnt an Theoriearbeit zurück. Im NLP wird deswegen denn auch gerne von innerer ,Ökologie’ gesprochen, und man meint, sich dabei auf Bateson zu berufen, der darunter jedoch etwas vollkommen anderes – eben etwas systemisch Interaktives und nichts bloß Psychisches – verstand. Bis heute heißt jedenfalls der (in verschiedener Hinsicht eher magere) theoretische Kern des NLP im wesentlichen ,Bateson’”.
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Tuesday, October 22. 2013
Urs Stäheli, Soziologe und Systemtheoretiker mit einer Professur für Allgemeine Soziologiee an der Universität Hamburg, hat in der aktuellen Ausgabe des Merkur einen wunderschönen Essay über die Schüchternheit geschrieben, der auch online zu lesen ist. Im Unterschied zur Gemeinschaft, in der Schüchternheit aufgrund der Vertrautheit, die hier miteinander herrscht, kein Problem darstellt, ist sie erst in der Gesellschaft, die die Kommunikation unter Fremden erfordert, ein zunehmend wahrgenommenes Thema: „Die Schüchternheit wird damit als ein Phänomen gefasst, das sich auf das gesellige Zusammensein mit Fremden bezieht und in Kontrast steht zu jenen Gemeinschaftsformen, die auf historisch verankerten Vertrauensbeziehungen beruhen. Es geht um Situationen wie jene des Smalltalk, in denen eine temporäre gemeinschaftliche Verbindung unter und mit Fremden hergestellt werden soll. Es überrascht daher kaum, dass die Semantik der Schüchternheit um 1900 einen Höhepunkt erfährt: Mit der Urbanisierung und Demokratisierung westlicher Gesellschaften wird das Aufeinandertreffen von Fremden zum Normalfall. Und diese begegnen sich nicht nur in festgefügten, anonymen Rollen, sondern sie entwickeln auch neuartige Formen des ephemeren gemeinschaftlichen Zusammenseins. Gerade weil diese temporären Gemeinschaften jenseits ihrer klassischen Formen unter Vertrauten immer häufiger auftreten, ja in manchen Bereichen sogar zum Normalfall werden, taucht die Semantik der Schüchternheit als Indikator für ein Problem auf. Sie markiert die Unfähigkeit, sich am zwanglosen Zusammensein unter Fremden angemessen zu beteiligen.“ Dies liegt Stäheli zufolge aber nicht ab der mangelnden Wahrnehmungsfähigkeit des Schüchternen, was seine sozialen Kontexte betrifft, im Gegenteil: „Die Paradoxie des Schüchternen liegt also darin begründet, dass er eigentlich das ideale Medium für die affektive Gemeinschaftsbildung wäre, denn niemand nimmt so präzise wahr, niemand ist so sensibel wie er; gleichzeitig wird er sich aber dieser Medialität bewusst und bringt diese genau dadurch ins Stocken.“ Womöglich lässt sich der Typus des Schüchternen aber auch als Ressource in einer gesellschaftlichen Entwicklung verstehen, die von einem kommunikativen Overflow gekennzeichnet ist: „Das, was den Schüchternen für die klassischen und neuen Formen der Gemeinschaft verdächtig gemacht hat, deutet nun auf einen neuen Typus von Gemeinschaft hin: auf eine intransparente, diskrete und kontemplative Gemeinschaft, die sich ebenso der Gemeinschaft als Arbeit wie auch dem Glauben an eine innere gemeinschaftliche Identität verweigert.“ Zum vollständigen Text…
Tuesday, October 15. 2013
 Der englische Mathematiker George Spencer Brown ist in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden. Berühmt wurde er durch seine "Gesetze der Form" vor allem in philosophisch interessierten Kreisen, die Mathematik, der er sich primär zugehörig fühlte, hat ihm dagegen keine besondere Anerkennung zuteil werden lassen. Im deutschsprachigen Raum ist er vor allem durch Heinz von Foerster, Niklas Luhmann, Dirk Baecker und Fritz B. Simon bekannt geworden. Sein Werk ist nicht umfangreich, aber sperrig - und wird wohl öfter als Quelle benannt denn gelesen. Der Bayrische Rundfunk hat eine Sendung über Spencer Brown produziert, die vielleicht den Zugang zu diesem genialen Denker erleichtert, und die wahrscheinlich nicht unbegrenzt im Internet zur Verfügung stehen wird (Danke an Florian Schriefl für den Link!). Wer sich die Sendung also anhören oder herunterladen möchte, wird unter diesem Link fündig…
Monday, October 14. 2013
Für einen begrenzten Zeitraum stehen die Inhalte von Heft 1 des englischen Journal of Family Therapy sowie ein Supplement-Band zum Thema Familientherapie bei Essstörungen auf der website des Wiley-Verlages kostenlos zum Download bereit, darunter ein interessanter Artikel von Elizabeth W. Davies über Metaphern in der Familientherapie-Theorie am Beispiel von Salvador Minuchin, Carl Whitaker und Michael White. Im abstract heißt es: „This article examines the metaphors family therapists use in their theories to reveal aspects of the theories which are not explicitly stated, using Whitaker's symbolic experiential therapy, Minuchin's structural therapy and White's narrative therapy as examples. Such examination, drawing on social constructivist understandings of metaphor and meaning making, reveals that Minuchin's metaphors of family as organism and therapist as artist and warrior emphasize the family as relatively holistic and the therapist as relatively interventionist. In contrast, Whitaker's metaphor of family as ecological system or team and therapist as coach emphasizes the interdependence and context sensitivity of the family and relative powerlessness of the therapist to impose change. Finally, White, reflecting his explicitly post-structural commitment, uses the metaphor of therapy as a journey undertaken with a map and as therapy as an act of re-narrating a story.“ Zur Übersichtsseite des Heftes gelangt man hier…
Tuesday, October 8. 2013
Zu diesem Thema hat eine Autorengruppe im Deutschen Jugendinstitut (DJI) eine "Handreichung für die Praxis" entwickelt. Die AutorInnen sind Peter S. Dietrich, Jörg Fichtner, Maya Halatcheva und Eva Sandner, unter Mitarbeit von Matthias Weber. In der Einleitung zu ihrer Veröffentlichung heißt es: „In der vorliegenden Handreichung werden die Ergebnisse aus dem Forschungsprojekt »Kinderschutz bei hochstrittiger Elternschaft« vorgestellt und Empfehlungen für die professionelle Arbeit mit hochkonflikthaften Familien abgeleitet. Initiiert wurde das Forschungsprojekt mit dem Ziel, Erkenntnisse über die Charakteristika hochkonflikthafter Eltern zu sammeln, die Folgen der Konflikte für die Kinder zu erfassen und Erfahrungen über wirksame Interventionen zur Reduktion der Konflikte zu gewinnen. Die Forschung beruhte auf einer multiperspektivischen Rekonstruktion von hochkonflikthaften Fällen sowie einer quantitativen Erhebung einer Vergleichsstichprobe und verschiedenen Gruppendiskussionen mit Fachkräften. Die Befragten wurden an insgesamt sieben Projektstandorten über eine Erziehungsberatungsstelle, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstelle oder eine Stelle, die beide Angebote bereithalten, rekrutiert. Die Fallrekonstruktion beinhaltete eine qualitative und quantitative Befragung hochkonflikthafter Elternpaare, von deren Kindern und den zuständigen BeraterInnen und FamilienrichterInnen. Einbezogen werden konnte eine Stichprobe von 27 Fällen mit 44 Elternteilen und 29 Kindern. Durch diese multiperspektivische Vorgehensweise konnte die Hochkonflikthaftigkeit der Familienmitglieder aus verschiedenen Blickwinkeln rekonstruiert und deren Bedeutung für die Familie selbst und die Fachkräfte erfasst werden. An der quantitativen Befragung nahmen des Weiteren 114 getrennte bzw. geschiedene Elternteile teil. Dieses Vorgehen diente dazu, Hochkonflikthaftigkeit in Abgrenzung zu nicht-hochkonflikthaften Trennungen und Scheidungen zu präzisieren. Die genauen Angaben zur Stichprobe und zu den Befragungen sind im Anhang nachzulesen. Durch diese Studie liegen neue Erkenntnisse vor, die das Phänomen Hochkonflikthaftigkeit konkretisieren und praktische Hinweise für die Arbeit mit Trennungs- und Scheidungsfamilien geben. Langfristig sollen dadurch die familiären Folgen eskalierender Konflikte, insbesondere im Hinblick auf den Schutz der betroffenen Kinder minimiert, sowie die personellen und finanziellen Belastungen der beteiligten Institutionen reduziert werden." Zum vollständigen Text der Studie…
Tuesday, October 1. 2013
Johannes von Tiling, Psychologe, seit 2013 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule Darmstadt und in psychotherapeutischer Ausbildung (VT), hat noch als Student einen lesenswerten Überblick über den Sozialkonstruktivismus geschrieben, seine Grundgedanken, unterschiedlichen Ausrichtungen, theoretischen Referenzrahmen und seine Umsetzung in Forschung und Praxis, einschließlich einiger Literaturempfehlungen. Dieser Text eignet sich gut als Einstieg für alle diejenigen, die mit dem theoretischen Unterbau des Sozialkonstruktivismus bzw. Sozialen Konstruktionismus, wie der Begriff auch synonym verwandt wird, noch nicht sehr vertraut sind. Zum Volltext geht es hier…
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