Sunday, August 28. 2011
 Es verblüfft mich immer wieder, was für Sprachbilder, die ich irgendwann und nebenbei gebraucht habe, auf den geistigen Landkarten meiner Klienten haften bleiben. Und leider auch, wie viele schöne Bilder und anregende Ideen ohne Nachhall bleiben – weg, zum Fenster hinaus geredet … Der Gebrauch von Sprachbildern ist offensichtlich Glückssache. Ihre Wirksamkeit wird allein von den Empfängern bestimmt. Verhandlungskultur als Öl im Getriebe, sagte mir kürzlich ein Paar, welches nach einem Jahr wieder einmal kam, diese Idee hätten sie von mir mit nach Hause genommen. Erfolg hatten sie mit ihrer Umsetzung auf den Alltag offensichtlich nicht. Öl im Getriebe, denke ich, das passt zu mir. Erinnert mich an die Tretnähmaschine in der oberen Stube, die wir als Kinder ölen durften. Aber Verhandlungskultur? So ein Schwachsinn, denke ich. Habe ich das Wort damals vielleicht in irgendeiner Geschäftsleitungssitzung aufgeschnappt und auf die Liebe übertragen? Leider stimmt das mit dem Sand im Getriebe im Alltag von Mara und Georg. Sie machen aus dem Sand aber keine Perlen, sondern schmerzhafte Szenen. Zum Beispiel, wenn Georg, der als Bauingenieur ein eigenes Büro hat, abends wortlos vom Familientisch aufsteht und «Hausaufgaben» machen geht, obwohl die Buben darauf gewartet haben, mit ihm zu basteln. Oder wenn Mara, verantwortlich für vier Schulkinder, für betagte Eltern und Haushalt, Georg beim Heimkommen mit der Aufforderung überfällt, endlich die Geranien in den Keller zu tragen. Es kommt auch vor, dass Mara Termine findet, die ihr Mann in ihren Kalender eingetragen hat ohne Rücksprache mit ihr. In solchen Situationen öffnen sich Abgründe für beide, und ab und zu reden sie von Scheidung. Mara: «Ein Leben lang habe ich mich angepasst und mich selber ignoriert. Wenn Georg schweigend seinen Weg geht und über mich und die Kinder verfügt, hasse ich ihn manchmal richtig.» Georg: «Eine Kindheit lang musste ich Dienst nach Vorschrift leisten. Im Geschäft bin ich so eingespannt, wie meine Frau es sich nicht vorstellen kann, und kaum bin ich im Haus, kommen neue Anforderungen. Ich möchte manchmal wegrennen, so weit ich kann, aber keiner versteht das.» Die Lösungen haben tatsächlich mit Öl im Getriebe zu tun. Erstens durch die Errichtung eines Ré́duits, wohin Georg sich nach der Arbeit zurückzieht, bevor er in die Familie taucht. Und zweitens durch kleine heilige Zeiten für Frau und Mann, bei denen sie einander erzählen, was sie bewegt und wofür sie Unterstützung brauchen. Verhandlungskultur mit Kalender nennen sie das, und mir ist klar, dass das mit Liebe zu tun hat. Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel "Paarlauf" veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.
Sunday, August 21. 2011
 Die Mehrzahl aller chronisch kranken Menschen wird von den eigenen Angehörigen betreut. Für mich ist es immer wieder ein Wunder, zu erleben, mit wie viel Energie und Einfühlsamkeit diese Arbeit getan wird. Vorwiegend von Frauen natürlich! Von Töchtern für ihre Eltern, von Frauen für ihre Partner oder ihre chronisch kranken Kinder. Brüder sind für den Einsatz am elterlichen Krankenbett meist unabkömmlich, und ich kann Schwestern ihre Bitterkeit nachfühlen, wenn die Brüder erst zur Verteilung des Erbes anrücken. Die eigene Familie und Berufstätigkeit kommen oft zur chronischen Überlastung hinzu. Und weil die Krankheitsverläufe in den meisten Fällen unvorhersehbar sind, wissen die Angehörigen nie, wie viel sie sich selber zumuten können und ab welchem Punkt sie ihre eigene Gesundheit gefährden. Ein schwieriger Balanceakt zwischen engagierter Präsenz und absoluter Verzweiflung! Für mich waren die Krankheit und das Sterben meiner Eltern ein solcher Balanceakt, an den ich mich mit zwiespältigen Gefühlen erinnere: Mit Dankbarkeit, dass ich Mutter und Vater begleiten und ihnen in einer zarten Weise neu begegnen konnte. Mit Zorn, dass sie so schwer von der Erde mussten. Es war ein Jahr tiefster Erschöpfung, während das Leben anderswo stattfand. Zum Glück blieben mein Partner und die Kinder auf ihre eigene Weise emotional präsent. Aber Empathie für Familien in dieser Lage ist mir geblieben. Ich arbeite bei ihrer Beratung gerne mit Ärztinnen und Ärzten zusammen, die ein Gespür für familienzentrierte Medizin haben. Und die über die technische Hilfestellung hinaus auch das Krankheitsverständnis und alltägliche Bewältigungsmöglichkeiten von Kranken und ihren Bezugspersonen kennen. Dass das nicht selbstverständlich ist, habe ich bei der Beratung eines älteren Paares dieser Tage erlebt. Annegret leidet an einer behindernden, schmerzhaften Polyarthritis mit Versteifung von Hand- und Kniegelenken, Heinrich ist gelernter Automechaniker und noch berufstätig. «Wenn Sie versprechen, dem Rheumatologen nichts davon zu sagen, erzähle ich es», beantwortet Annegret meine Frage nach Dingen, die ihre Lebensqualität verbessern. Es sei das Hafermus, das Heinrich ihr jeden Morgen koche und ans Bett bringe. Er hat nämlich die Idee, dass Arthritis mit zu viel Säure zu tun habe, welche durch den Hafer gebunden werde. Ist objektiv vermutlich Quatsch. Aber subjektiv wunderbar! «Das ist es, was ich jetzt brauche, mehr als die Spritzen des Rheumatologen. Aber sagen Sie es dem Doktor nicht. Er wäre beleidigt, und vielleicht brauche ich ihn ja wieder einmal.». Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel "Paarlauf" veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.
Sunday, August 14. 2011
 Tapp, tapp, tapp, hin und her und ohne Unterbruch: Fast jede Nacht hört sie die Schritte der Schwiegermutter im oberen Stockwerk, erzählt Luise, obwohl diese seit 21 Jahren tot ist, und dann sei es mit ihrem Schlaf vorbei. Ernst schnarcht friedlich neben ihr und nennt Luises Besessenheit von der Vergangenheit ein bisschen krank. Dabei wohnen sie in einem wunderschönen alten Haus über dem See. «Paradies» habe er das Haus genannt, damals, als er Luise bat, seine Frau zu werden, und auch sie fand das Haus und besonders den Garten wunderschön. Klar, dass er seine verwitwete Mutter nicht aus dem Haus jagte, als Luise mit ihm in die untere Wohnung zog. Platz war ja genug da, auch, als die Kinder kamen. Aber dass die Frauen es wieder einmal nicht schafften, friedlich zusammenzuleben, sei für ihn als Mann unverständlich. Typisch Schwierigtochter und Schwierigmutter! Dann reicht Luise die Scheidung ein, weil sie völlig am Rand sei. Muttersohn nennt sie ihren Mann, und Feigling, der um finanzielle Unterstützung für sein Geschäft und ein schönes Haus Mutters braver Bub geblieben sei. Für Luise habe er sich nie stark gemacht bei seiner Familie, im Gegenteil. Ihr blieb Anpassung und stille Wut, die sie depressiv in sich hineinwürgte. Ernst ist, wie so viele andere «unabgelöste» Söhne, der Schlüssel zum Unglück seiner Frau. Nicht das Verhältnis Schwiegermutter-Schwiegertochter, sondern seine fehlende Autonomie wird Thema. Aber das alles ist jetzt vorbei. Luise verlässt das Paradies. Sie kann arbeiten, hat etwas Erspartes, und die Kinder sind selbständig. Nur Ernst versteht immer noch nichts. Es geht aber auch anders! Felix und Daniela, beide Mitte 30, mit zwei kleinen Kindern, kommen in ähnlicher Lage zu mir. Seine verwitwete Mutter hat den Vorschlag gemacht, ihnen eine grosse Wohnung zu kaufen und darin eine abgegrenzte Ecke für sich zu gestalten, damit sie näher bei den geliebten Enkeln sei. Versteh ich doch, sagt Daniela, und schämt sich, dass sie bei der Idee der trauten Grossfamilie in Panik gerät. Eine Zeitlang hält Felix sich heraus und hofft, seine Mutter würde Danielas Zurückhaltung selber bemerken. Dann fasst er sich ein Herz und lädt seine Mutter zu einem Spaziergang ein. Erzählt ihr von seinem Dilemma zwischen ihr und seiner Frau und bittet sie, die Fäden der Liebe zu ihm zu lockern, damit seine Loyalität ihr erhalten bleibe. Und siehe da: Mutter erzählt ihm eine schmerzliche eigene Geschichte mit ihrer damaligen Schwiegerfamilie. Mutig entscheidet sie sich später, die Geschichte nicht zu wiederholen, und kauft eine Wohnung für sich allein. Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel "Paarlauf" veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.
Sunday, August 7. 2011
 Immer wieder kommen Paare zu mir, die im Abnützungskampf des Alltags erschlafft sind. Ihre Energie verwenden sie auf die Frage, wer schuld sei am Unglück, und damit füllen sie die Leere. Du bist nur noch mit dem Beruf verheiratet, klagt Doris mit belegter Stimme, und Georges giftet zurück: Und du mit den Kindern und deiner Familie. Meine Frage, wann sie es zum letzten Mal als Paar schön hatten miteinander, zärtlich und erotisch, erzeugt Verlegenheit. Oder ist es ärger? Wenn ein Paar zu einem Vorschlag bereit ist – was ich stundenlangem Klagen vorziehe –, greife ich gern auf eigene Erfahrungen zurück. Wir selber haben uns damals alle paar Monate ein Paar-Wochenende genommen, unter Wehgeschrei unserer Kinder, die bei Freunden mit Jungmannschaft einquartiert wurden. Das schlechte Gewissen, mit dem wir jeweils wegschlichen, muss ihnen ungeheuer gut getan haben! Zehn Minuten nach der Abreise der Rabeneltern habe jedes Mal der gemeinsame Spass begonnen, und genau so war es im umgekehrten Fall, wenn die Kinder der Freunde schimpfend zu uns kamen. Ich erzähle Doris und Georges diese Geschichte. Sie gucken skeptisch. Ist das alles?, fragen sie, und soll das die Lösung sein? Ist doch nur ein Schrittchen auf dem Weg! Missmutig geben sie der Idee eine Chance und fahren mit der Bahn nach Yverdon ins Thermalbad und an die Expo. Kenne ich nicht. Als sie in bester Stimmung in die nächste Stunde kommen, von Swiss Love, dem Liebestempel, schwärmen, und wie sie am Sonntagmorgen in «Wer bin ich?» auf einem Paarsofa unter bewegtem Himmel lagen, kluge Fragen hörten und sich Antworten ausdachten, weiss ich: Da muss ich hin. Yverdon bei strahlendem Wetter: zwei Tage driften, ohne Programm. Schönheit, Sinnlichkeit und Technik ergänzen sich wunderbar. In unseren blauen Plastic-Hüllen, drei Franken das Stück, sehen wir ein bisschen lächerlich aus. Tropfende Nasen und Haare rundum, im Sprühnebel der Wolke, vor dem allerschönsten Panorama der Schweiz. Gesprächsfetzen im Nebel: Regenwald! Kuaui, weisst du noch, flüstert einer. Aletschgletscher, Nebel und Schiss, eine junge Walliserin; aber wir haben überlebt. Appenzellerhund Bobi, erzähle ich, der klügste aller Hunde, liess sich jedes Mal auf dem geparkten Leiterwagen nieder, sobald in der Waschküche der Kupferkessel eingeheizt wurde. Von dort war er den ganzen Tag nicht wegzubewegen. Dampf muss eine archaisch sinnliche Erfahrung sein, auch für Hunde. Swiss Love ist mir zu klischeehaft. Aber Doris und Georges liebten die Liebesgeschichten. L'amour est revenu, erzählen sie. Im Jahre 2002 hat die im vergangenen Jahr verstorbene systemische Paartherapeutin Rosmarie Welter-Enderlin allwöchentlich Sonntags in der Neuen Zürcher Zeitung eine Kolummne mit dem schönen Titel "Paarlauf" veröffentlicht, in der sie kleine Beobachtungen und Geschichten aus ihrer paartherapeutischen Praxis für ein größeres Publikum zugänglich machte. Rudolf Welter hat aus diesen Beiträgen eine kleine Broschüre zum Andenken an Rosmarie Welter-Enderlin gestaltet. Mit seiner freundlichen Erlaubnis können die LeserInnen des systemagazin an diesen Sonntagen die Texte auch online lesen.
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