Herbert Schober-Ehmer und Susanne Ehmer (Fotos: www.schoberehmer.com), als Berater, Coaches und Supervisoren bestens bekannt, schlagen in ihrem Text, der in Heft 1/2010 der Zeitschrift "Supervision" erschienen ist, einige Prinzipien für Beratung und Führung vor, die in Zeiten, in denen „verunsichernde Ereignisse häufiger auftreten als sonst", Sicherheit stiften und Orientierung geben können. Der Beitrag ist auf der website des Management Zentrums Witten zu lesen: "Wenn Organisationen durch Krisenphänomene ihre stabilisierende, ordnende und sicherheitsgebende Funktion – zumindest teilweise – einbüßen, müssen andere Formen und Strukturen entwickelt und genützt werden, die Sicherheit stiften können. Und das sind nicht neue Pläne B, C, D, das ist die Stunde der Kommunikation, des Austausches, des Fragens und Zuhörens, der gemeinsamen (Selbst-)Vergewisserung, wir sind im Kontakt, wir verstehen die Perspektiven des Anderen, seine Sorgen und seine Erwartungen. Das ist die Stunde eines Investments ins Vertrauen – sonst beginnt eine Selbstzerstörungsdynamik. Vertrauen ist immer relevant – jetzt ist es überlebensnotwendig. Systemtheoretisch gesagt: Organisationen in der Krise müssen auf Interaktionssysteme zurückgreifen. Aus unserer Perspektive lassen sich einige Prinzipien benennen, die in Zeiten gehäuften Auftretens verunsichernder Ereignisse Sicherheit stiften und Orientierung geben können. Dieser Beitrag führt über einige Gedanken zu Führungs-relevanten Aspekten von Krise hin zu beispielhaft benannten Interventionen in Beratungsprozessen Krisen-erschütterter Unternehmen." Zum vollständigen Text…
In seinem Versuch einer postcartesianischen Psychologie, der in Heft 2/2000 der Zeitschrift "systeme" erschienen ist, schreibt Klaus Kießling, Theologieprofessor und Psychologe sowie Leiter des Seminars für Religionspädagogik, Katechetik und Didaktik sowie des Instituts für Pastoralpsychologie und Spiritualität an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen (Foto: www.sankt-georgen.de): "Psychologie, wie ich sie kennengelernt habe, hat wichtige emanzipatorische Schritte aus philosophischer Umklammerung vollzogen, läuft aber - in dieser Richtung weiterhin hände- ringend unterwegs - Gefahr, sich dabei ihrer eigenen Wurzeln zu berauben, also saft- und kraftlos zu werden. Einen Brückenbau zwischen Philosophie und Psychologie, näherhin zwischen Phänomenologie und Gestalttheorie einerseits sowie Selbstorganisationskonzepten andererseits halte ich für sehr wichtig: Die Verwindung des Grabens zwischen Philosophie und Psychologie eröffnet letzterer die Möglichkeit, gleichsam ressourcenorientiert vorzugehen, also in einer Weise, wie sie selbst es in Therapietheorien vielerorts lehrt: sie könnte zwar weiterhin andere Disziplinen um Rat bitten - etwa naturwissenschaftliche Fachbereiche - und deren Modelle aufgreifen; sie könnte aber auch einmal ihre eigenen Ressourcen - etwa in der Gestalttheorie - wahr- und ernst nehmen, also auf Hilfe zur Selbsthilfe setzen, anstatt sich damit zu begnügen, auf eine rettende Hand zu warten. Unter Würdigung zentraler Differenzen zwischen beiden Enden einer solchen Brücke möchte ich zeigen, daß sich beide Seiten in der gemeinsamen Abkehr von einer cartesianischen Erkenntnistheorie neu begegnen können. Dabei zeichnet sich eine noch näher zu charakterisierende cartesianische Erkenntnistheorie durch ihren Anspruch auf Letztbegründung und apodikische Gewißheit aus: "Die Erkenntnis soll von einem Zustand des Zweifels aus aufgebaut werden, der durch evidente Intuitionen Schritt um Schritt ausgeräumt und durch unerschütterliche Wahrheiten ersetzt wird" (Herzog 1991…), so daß sich das erkennende Subjekt an einem archimedischen Punkt findet - jenseits jeder biologischen und biographischen Mittelbarkeit." Zum vollständigen Text…
Florian Rötzer berichtet im online-Magazin Telepolis von einer Meta-Studie zur Pharma-Forschung, die bestätigt, dass von Pharmafirmen finanzierte Studien günstiger für deren Wirkstoffe ausfallen als unabhängige Studien: "Mitglieder der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft und weitere Wissenschaftler haben im Auftrag der Bundesärztekammer untersucht, ob tatsächlich die Ergebnisse für ein pharmazeutisches Unternehmen besser ausfallen, wenn sie eine Studie finanzieren, und welchen Einfluss die Finanzierung auf Studienprotokoll und –qualität haben. Nach einer systematischen Suche in der Datenbank PubMed wurden schließlich aus Zeitraum zwischen 2002 und 2009 57 Publikationen ausgewählt, die die Auswirkung der Finanzierung auf die Ergebnisse behandelten. Nach Auswertung konnten die Autoren der Studie, deren erster Teil im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, bestätigen, dass "Arzneimittelstudien, die von pharmazeutischen Unternehmen finanziert werden oder bei deren Autoren ein finanzieller Interessenkonflikt vorliegt, häufiger ein für die Pharmafirma vorteilhaftes Ergebnis als aus anderen Quellen finanzierte Untersuchungen" ergeben." Zum vollständigen Text…
Vorgestern erschien an dieser Stelle ein Hinweis auf die Streitschrift über Diskurs-Ethik und Konstruktivismus von Holger Burckhart und Kersten Reich (Foto: www.uni-koeln.de), ein Buch, das auf der website von Kersten Reich, Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität zu Köln, heruntergeladen werden kann. Hier findet sich auch ein weiteres, überaus bemerkenswertes publizistisches Projekt von Kersten Reich. "Die Ordnung der Blicke. Perspektiven des interaktionistischen Konstruktivismus" ist ein zweibändiges Werk, dessen Bände "Beobachtung und die Unschärfen der Erkenntnis" sowie "Beziehungen und Lebenswelt" mit insgesamt über 1150 Seiten 1998 in erster Auflage im Luchterhand Verlag in Neuwied erschienen und dann vom Beltz-Verlag übernommen worden sind. Da für den Autor 2009 im Rahmen einer Neuauflage eine umfassende Überarbeitung anstand, entschied er sich dafür, diese überarbeitete Neuauflage nicht von einem Verlag besorgen zu lassen, sondern kostenlos auf seiner website zur Verfügung zu stellen. Seine Begründung: "Bei der Entscheidung, die zwei Bände nochmals als Bücher zu publizieren oder sie in der Neuauflage online verfügbar zu machen, standen für mich vor allem Erwägungen der Rezeption im Vordergrund. In einer Online-Version lassen sich für die wissenschaftliche Arbeit, auf die hin beide Bände vorrangig zielen, sehr viel leichter elektronische Suchtools (Namenssuche, Suche von Sachbegriffen) einsetzen. Hierfür kann z.B. im Acrobat Reader die erweiterte Suchfunktion genutzt werden. Auch die mögliche Auswahl von Zitaten wird erleichtert. Zudem ist durch die kostenlose Nutzung ein Zugang leichter möglich. Die beiden Bände wären als Bücher sehr teuer gewesen. Daher zog ich es letzten Endes vor, obwohl ich lieber Bücher in den Händen halte als sie eher flüchtig ins Netz zu setzen, hier die Chance zu nutzen, die Zugänglichkeit dieses eher theoretischen Werkes zu erhöhen. Hier mache ich es der Nutzerin oder dem Nutzer besonders leicht, indem ich verschiedene Versionen des Downloads des gesamten Buches, einzelner Teile (geordnet nach Kapiteln) oder auch einer unmittelbaren Einsicht über Internetseiten ermögliche, die je gewünschte Form zu finden. Ein Download als Ebook ist ebenfalls möglich. Seitenzahlen zum Zitieren finden sich in der PDF-Version, auf den Internetseiten ist der reine Text der Kapitel ohne Seitenzahlen gespeichert. Das Copyright bitte ich trotz der leichten Zugänglichkeit zu berücksichtigen. Der Gebrauch von Textteilen außerhalb kommerzieller Interessen in Seminaren von Hochschulen ist ausdrücklich gestattet." Die website von Kersten Reich ist durch die Vielzahl dort erhältlicher Materialien zum Konstruktivismus bekannt. Es ist zu wünschen, dass sein Angebot die vielen Leser findet, die es verdient. Zur download-Seite…
Von Arndt Linsenhoff, Paar- und Sexualtherapeut bei der ProFamilia Heidelberg sowie erfahrener Mediator, hat 2004 in der Zeitschrift "Familiendynamik" einen sehr lesenswerten Artikel über "Trennungs-Mediation und Emotion" verfasst, der auf der website von ProFamilia Heidelberg nachzulesen ist. Im abstract heißt es: "Strittige Trennungen sind hochemotionale Prozesse. Bezugnehmend auf die Theorie der Affektlogik Luc Ciompis werden Vorstellungen zu den Emotionen und Kognitionen von Paaren entwickelt, die sich in Mediation begeben. Wie Mediatoren sich an deren Gestimmtheit ankoppeln und einen angemessenen prozesssteuernden Umgang anbieten können, wird dargestellt. Auf diesem Hintergrund werden Ergänzungen zu den bisherigen Ausbildungs- und Supervisionsinhalten vorgeschlagen." Zum vollständigen Text…
2000 erschien bei Königshausen und Neumann in Würzburg eine Streitschrift mit dem Titel "Begründung von Moral. Diskursethik versus Konstruktivismus". Autoren sind der Philosoph Holger Burckhart (Foto: Wikipedia), seit 2009 Rektor der Universität Siegen, vorher Professor für Anthropologie und Ethik in den Rehabilitationswissenschaften an der Universität zu Köln sowie Kersten Reich (Foto: www.uni-koeln.de), Pädagoge und Professor für Allgemeine Pädagogik an der Universität zu Köln, bestens bekannt für seinen Ansatz des Interaktionistischen Konstruktivismus und zahlreiche Beiträge zur konstruktivistischen Pädagogik. In ihrer Vorbemerkung zum Buch halten sie fest: ">Streitschrift< ist eine Textsorte und Diskussionskultur, die sowohl post- modernen wie diskursphilosophischen Vertretern philosophisch-pädagogischen Denkens entspricht. Insofern ist das hier gewählte Medium zugleich Ausdruck des Selbstverständnisses beider Diskutanten. Die Differenz - der Streit - ergibt sich aus der Beantwortung grundlegender Fragen. Lässt sich aus dem >Diskurs< für die Begründung von Moral so etwas wie eine nichthintergehbare Begründung entfalten? Lässt sich aus dem >Diskurs< überhaupt >Begründung< entfalten? Ist Begründung selbst sinnvoll? Welche Begründung ist für wen sinnvoll? Solchen theoretischen Fragen steht der Wunsch nach konkreter Orientierung gerade durch Moral gegenüber. Kann, ja darf, Orientierung ohne Begründung sein? Aber wie kann eine solche Begründung gegeben werden? Und wo berühren, wo verlieren sich Begründung und Orientierung?" Davon handelt dieses Buch, das auf der website von Kersten Reich heruntergeladen werden kann. Zur Eröffnung seines Beitrages über den Stellenwert von Ethik im konstruktivistischen Diskurs schreibt dieser: "Von den verschiedenen Richtungen des Konstruktivismus, die sich zwischen engen objektivistisch orientierten Ansätzen bis hin zu eher relativistischen Ansätzen personaler oder sozialer Art aufspannen lassen, haben allein Ansätze zum sozialen Konstruktivismus bisher hinreichend Stellung auch zu ethischen und moralischen Fragen bezogen. Dies liegt daran, dass vor allem der radikale Konstruktivismus als Erkenntniskritik kaum mehr als die Subjektivität und Ereignisbezogenheit von ethischen Fragen und damit deren relative Willkür thematisieren konnte. So wurde eine weit reichende Anknüpfung an ethische und moralische Diskurse in den Geistes- und Sozialwissenschaften weder ge sucht noch gefunden. Der interaktionistische Konstruktivismus, den ich vertrete, nimmt hier wie auch andere sozial-konstruktivistische oder kulturtheoretische Ansätze eine andere Position ein, die bewusst die Anknüpfung auch an Diskurse anderer Erkenntniskritiken sucht. Gleichwohl handelt es sich auch beim sozialen Konstruktivismus um ein Programm, das weder aus transzendentalen noch universalistischen Prinzipien hervorgeht. Die Kritik an Letztbegründungen gegen Apel, der Verzicht auf den Anspruch auf Unverzichtbarkeit und Nichthintergehbarkeit gegen Niquet, Burckhart, die Ereignisbezogenheit und Singularität von Ereignissen im relativen Kontext zeitbezogener Verständigung, dies stellt konstruktivistische Ansätze sehr klar gegen andere Erkenntniskritiken, insbesondere auch gegen die Transzendentalpragmatik." Zum Buch…
Lässt sich der Unterschied zwischen Männern und Frauen differenztheoretisch fassen? Und wenn ja, auf welche Weise? Diesen Fragen geht Katrin Wille, wiss. Mitarbeiterin am Institut für Philosophie der Universität Marburg (Foto: www.uni-marburg.de) in einem interessanten, allerdings auch ziemlich abstrakten Beitrag für den von Christine Weinbach herausgegebenen Sammelband "Geschlechtliche Ungleichheit in systemtheoretischer Perspektive" nach, der 2007 im Verlag für Sozialwissenschaften erschienen ist. Darin heißt es u.a.: "Luhmann wendet seine unterscheidungstheoretische Auffassung, dass Unterscheidungen, um operationsfähig zu sein, prinzipiell asymmetrisch verfasst sein müssen, auf die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern an. Als grundlagentheoretische Referenz für diese These werden die ,,Laws of Form" von George Spencer Brown mit ausgewählten Passagen über die ,,Form der Unterscheidung" angeführt. Wird aber die Frage nach der Form der Unterscheidung gestellt, dann tun sich weit mehr Subtilitäten und Möglichkeiten auf, als Luhmann sie in seiner Analyse der Geschlechterunterscheidung und in anderen Analysen entwickelt hat. Es soll daher im Folgenden gezeigt werden, dass Luhmann mit seiner Rezeption der ,,Laws of Form" nicht wirklich bis zur Form der Unterscheidung vorgedrungen ist, sondern mit seiner Interpretation eine komplexere, dadurch aber weniger allgemeine und somit beschränkter anwendbare "Struktur der Unterscheidung" präsentiert und damit die Ebenen der Form und der Struktur konfundiert hat. Die Asymmetrie der Seiten einer Unterscheidung gehört nicht zur Form der Unterscheidung, sondern ist eine mögliche, aus der Form entwickelbare Unterscheidungsstruktur neben anderen möglichen. Demnach ist eine asymmetrische Unterscheidungsstruktur auch nicht notwendig die Struktur, innerhalb derer sich die Unterscheidung zwischen Frauen und Männern zu organisieren hat. In der Kritik an Luhmanns Asymmetrie-These und dem Aufzeigen einiger Konsequenzen für die Geschlechterunterscheidung liegt das zweite Ziel dieses Aufsatzes." Zum vollständigen Text…
Auf der website von osb-international, einem systemischen Beratungsunternehmen mit Standorten in Wien, Berlin, Tübingen und Hamburg, findet sich ein lesenswerter Text von Rudolf Wimmer und Christian Kolbeck mit dem Titel "Stößt der Beraterboom an seine Grenzen? oder Aufbau und Dekonstruktion von Autorität in Organisationen": "Wenn aus der erfolgreichen Etablierung (des) Dienstleistungsbereiches (Beratung) Rückschlüsse auf die Wirksamkeit dieser Art von Tätigkeit in Organisationen gezogen werden können, könnte man als Beobachter in Ruhe die weitere Entwicklung betrachten und beispielsweise die Kriterien heraussuchen, die die Faszination und Leistungsfähigkeit dieser Branche eigentlich ausmachen. Bisher gibt es jedoch noch recht wenig gesichertes Wissen darüber, welche Wirkungen externe Beratungsleistungen in den betroffenen Organisationen überhaupt auslösen. Die Beratungsforschung steckt noch in den Kinderschuhen, auch wenn das sozial- und wirtschaftswissenschaftliche Interesse an diesem Feld in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat (…). Das relativ bescheidene Reflexionsniveau bezüglich der tatsächlichen Effekte herkömmlicher Unternehmensberatung befördert die Vorurteilsbildung. Auf diese Weise zeigt sich immer deutlicher der seltsame Widerspruch zwischen der Dynamik des Marktes einerseits und der stetig zunehmenden Kritik an den Beratungsgesellschaften andererseits. Der vorliegende Beitrag möchte einige Überlegungen anbieten, die mithelfen sollen, die aktuelle Eigendynamik des Beratungsmarktes besser auszuleuchten. Er greift dafür auf eine Differenzierung zurück, die in der Beschreibung unterschiedlicher Beratungsansätze häufig verwendet wird (…), in der Zwischenzeit aber hinsichtlich ihrer Trennschärfe kritisch überprüft werden muss. Gemeint ist die Unterscheidung zwischen expertenbasierter Fachberatung, die davon ausgeht , dass zur Problemlösung im Kundensystem primär Expertenwissen, insbesondere ein spezifisches, dort fehlendes, Management-Know-how vonnöten ist, und der sogenannten Prozessberatung, die ihren Beitrag zur Problembewältigung in erster Linie darin sieht, die verschütteten „Selbstheilungskräfte“ in der Organisation gezielt zu mobilisieren. Beide Beratungstraditionen stoßen zur Zeit sichtlich an charakteristische Grenzen, die es ratsam erscheinen lassen, die zugrunde liegenden theoretischen Grundannahmen zu überprüfen." Zum vollständigen Text…
Peter Schneider, geboren 1957 in Dorsten, lebt und arbeitet als Psychoanalytiker in Zürich. Bekannt ist er über die Schweizer Grenzen hinaus für seine scharfsichtigen zeitdiagnostischen Beobachtungen. In der gestrigen Online-Ausgabe des "Freitag" hat er ein lesenswertes Interview über die gegenwärtigen Diskurse über Ernährung, Gesundheit und „Work-Life-Balance“ gegeben: "Offenkundig hat sich die Frage des Schuldigwerdens von der Sexualität in die Bereiche Ernährung und Gesundheit verlagert. Der Sex hingegen ist durch Naturalisierung weitgehend dem Moraldiskurs entzogen worden. Nur als Anekdote: In Zürich gibt es regelmäßig schwul-lesbische Wochen, anlässlich derer Zoo-Führungen unter dem Titel „Homosexualität im Tierreich“ angeboten werden. Dort sieht man dann, dass Sex in jeder Spielart etwas ganz Natürliches ist – Pädophilie ausgenommen. Beim Essen gibt es keine analoge Beruhigung. Da wird es sogleich schuldhaft. Wer Übergewicht hat, raucht und trinkt und sich nicht genügend bewegt, ist schuld an der Kostenexplosion im Gesundheitswesen. Er soll sich etwas schämen. Gesündigt zu haben, bekennen nur die Schlanken und Fitten, wenn Sie mal ausnahmsweise Schokolade gegessen haben. Freitag: Das Unangenehme daran ist, dass man dann immer gleich von sich sprechen muss. Bei den Themen Gesundheit und Ernährung kann man jetzt tatsächlich den Spruch durchexerzieren, dass das Private politisch ist. Und zwar indem man ganz konkret vorrechnet, dass es uns soundsoviel kostet, wenn die Leute Übergewicht haben. Das lässt sich dann mit einer Präventionsmaschinerie in der Pädagogik verknüpfen, wo Kindern ein gesundes Frühstück beigebracht wird und den Eltern ein schlechtes Gewissen, wenn sie ihrem Kind nicht dieses oder jenes mit in die Schule geben. Dieses Netz, das Foucault Mitte der siebziger Jahre am Beispiel des Sex beschrieben hat, lässt sich bei Ernährung und Gesundheit viel alltagsnäher spannen." Zum vollständigen Interview…
Jochen Schweitzer, Julika Zwack, Elisabeth Nicolai, Gunthard Weber und Nadja Hirschenberger berichten in einem 2007 im "American Journal of Orthopsychiatry" erschienenen Artikel von ihrem von 1997-2002 durchgeführten Projekt zur Implementierung systemischer Konzepte in die psychiatrische Versorgung, aus dem unter anderem auch das SYMPA-Projekt resultierte. "This article describes a collaborative action research project, carried out in Germany and designed to promote the integration of family systems thinking and methods into the core practices of everyday psychiatric care. During 1997–2002, “good practice” guidelines were compiled in an initial research project, involving 17 in- and outpatient psychiatric services. In the second phase of the project (2002–2008), the approach is now well established, being taught and evaluated in three state hospitals in Germany. This article outlines the development of the project and the application of family systems psychiatry principles, demonstrating their feasibility and value in a number of different psychiatric hospitals. Two clinical vignettes illustrate the usefulness of the family systems approach as a comprehensive framework for delivering recovery-focused inpatient care." Zum vollständigen Text…
Danach fragen Hannah Rieger und Andrea Tippe in einem Beitrag zum Thema "Ich und Wir: Entwicklung der Person im Spannungsfeld der Organisation" aus gruppendynamischer Perspektive, der im Internet zu finden ist: "In Organisationen und für die darin arbeitenden Personen ist gegenwärtig die Fähigkeit zu einer umfassenden Selbstorganisation gefragt. Selbstorganisation wird ein immer wichtigeresPrinzip sowohl in hierarchischen Organisationen als auch in Netzwerken. Das bedeutet, dass Selbstmanagement und Selbststrukturierung für die Person im Zentrum des Gestaltungsansatzes ihrer Arbeit stehen. Auf der Ebene der Zusammenarbeit – d.h. auf der Ebene des Wir – ist Kooperationsfähigkeit und Bereitschaft zur Partizipation dabei wichtig. Die dafür notwendigen Lernprozesse für Personen finden im Arbeitsalltag wenig Raum. Darüber hinaus sind Unternehmen immer seltener bereit, die Kosten für die Entwicklung der Personen in Hinblick auf diese neuen Anforderungen zu tragen. Die Investition in das Lernen ist immer mehr von den betroffenen Personen selbst zu finanzieren. Für die Begleitung der individuellen Entwicklung – über die eigene Organisation hinaus – entsteht damit ein neuer Markt. Personen können ihre individuellen Stärken und Potenziale vermehrt zum eigenen Nutzen und zum Nutzen im Miteinander einsetzen. Die Ambivalenz zwischen Autonomie und Abhängigkeit muss von den Personen mit der jeweiligen Organisation immer wieder neu verhandelt werden. Unter Selbstorganisation versteht man in der Gruppendynamik eine autonome, bewusste Gestaltung innerhalb eines vorgegebenen Rahmens. Selbstorganisation beinhaltet die Übernahme von Verantwortung für das Handeln der Person und deren Konsequenzen. Unbewusste, sich wiederholende Handlungsmuster, die auf kollektiv geteilten Menschen- und Weltbildern basieren, sind Aspekte von Selbstorganisation." Zum vollständigen Text…
Im Jahr 2004 publizierte Eddie Gallagher zwei Beiträge im Australian and New Zealand Journal of Family Therapy, in denen er darüber nachdachte, wie sinnvoll mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet werden könne, die ihre Eltern drangsalierten („Parents Victimised by Their Children“, ANZJFT 25(1): 1-12; „Youth Who Victimise Their Parents“, ANZJFT 25(2): 94–105). Im ersten Text diskutiert Gallagher einige Grundlagen und Möglichkeiten der Arbeit mit den Eltern. Der zweite Text, der auch online zur Verfügung steht, konzentriert sich auf die Arbeit mit den betreffenden Kindern und Jugendlichen. Für die praktische Arbeit dürfte eine Sammlung von Fragen interessant sein, die im Wesentlichen verschiedene Möglichkeiten ins Spiel bringen, wie Verhaltensimpulse, die bislang womöglich auch die tätigen Kinder und Jugendlichen „überwältigten“, im besten Sinne relativiert werden können: in Beziehung gesetzt zu erlebten Ausnahmen, zu bisher wirksamen Mythen über Schwäche, Macht oder Gewalt, zur Erfahrung tatsächlicher Stärke, oder zur Erfahrung von Selbstkontrolle und Wählen können. Das alles sollte nicht mit der Weisheit letzter Schluss verwechselt werden, imponiert jedoch durch das unverdrossene Annehmen der Möglichkeit, auch unter erschwerten Bedingungen miteinander ins Gespräch zu kommen. Zum Text über die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen geht es hier...
Wem die Praxistauglichkeit ressourcenorientierter Konzepte ein Anliegen ist, findet bei Michael Hoyt immer wieder reichhaltige, fundierte und kreative Anregungen. Im Jahr 2002 veröffentlichte Victor Yalom ein Interview mit Michael Hoyt. Äußerer Anlass war die seinerzeit erfolgte Publikation von Hoyts Buch „Some Stories are Better than Others“ (siehe Besprechung im systemagazin). In diesem Gespräch entfaltet sich nicht nur eine Fülle von anregenden Impulsen für die Praxis, sondern auch ein nachhaltiger Eindruck von der souveränen Haltung, in der sich Hoyt den drängenden Herausforderungen unserer Profession zwischen ökonomisierten Managementvorgaben und biologistischen Wirkversprechen stellt. Mehrfach unterstreicht Hoyt, wie wichtig es sei, dass wir unsere Erinnerung an die positiven Gründe wach halten, weswegen wir in diesen Beruf gegangen sind, und macht dennoch keinen Hehl daraus, dass dies nicht immer leicht sei. Im Übrigen gibt Hoyt wieder einmal zu erkennen, wie viel Potenzial darin steckt, die Kundigkeit der Hilfesuchenden selbst anzunehmen und entsprechend zu handeln. Das Interview illustriert aufs Beste, was die vielleicht schon etwas abgegriffene Floskel „über den Tellerrand schauen“ tatsächlich meinen könnte. Zum Gespräch von Victor Yalom mit Michael Hoyt geht es hier…
In der Ausgabe 6/2009 erschien im Merkur ein lesenswerter Artikel von Ewa Hess und Hennric Jokeit zum Thema "Neurokapitalismus", der aktuell auch im Online-Magazin EUROZINE zu lesen ist: "Die Depression aber war die erste seelische Volkskrankheit, gegen die die moderne Neurowissenschaft prompt ein Mittel gefunden hatte. Depression und Angst wurden jetzt im synaptischen Spalt zwischen Neuronen verortet und genau dort behandelt. Eine Schnittstelle war nunmehr ausgemacht, die unmittelbar und präreflexiv das Leiden am Selbst und der Welt zumindest zu lindern imstande war, wo zuvor nur reflexive Psychotherapie agierte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gesellte sich zum ungleichen Paar Kapitalismus / Neurowissenschaft ein dritter Partner: die aufblühende pharmazeutische Industrie. Waren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Versuche einer Linderung seelischer Leiden durch sedierende Barbiturate, Elektroschocktherapie und Psychochirurgie geprägt, zeichnete sich schon in den dreißiger Jahren der auch von Freud prognostizierte Siegeszug der Neuropsychopharmakologie ab. Kann es ein Paradox sein oder gehört es zu jenen Selbstverständlichkeiten, die aus allzu offensichtlichen Gründen lange verborgen bleiben, dass der Erfolg von Freuds Psychoanalyse und der der heutigen Neurowissenschaften auf ähnlichen Prämissen basieren? Der Erfolg der Psychoanalyse gründete darauf, dass medizinisch relevante Psychiatrie und Psychologie mit Kunst, Kultur, Pädagogik, Wirtschaft und Politik verwoben wurden und so wesentliche Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdrangen. Die Neurowissenschaften scheinen zu Beginn des 21. Jahrhunderts zumindest den Anspruch zu erheben, eine vergleichbare Rolle künftighin einnehmen zu können." Zum vollständigen Text…