Wednesday, September 30. 2009
Wie ich erst durch das Editorial in der neuen Family Process erfahren habe, ist Olga Silverstein schon im Februar dieses Jahres im Alter von 86 Jahren gestorben. In Deutschland bekannt wurde sie 1991 durch das gemeinsam mit Marianne Walters, Betty Carter und Peggy Papp verfasste Buch " Unsichtbare Schlingen", das sich mit der Geschlechterrolle in der Familientherapie auseinandersetzte. Auf der website der IFTA wurde folgender Nachruf über Olga Silverstein veröffentlicht: "Renowned family therapist and teacher Olga Silverstein, 86, died peacefully at her home in New York City surrounded by her family on February 24, 2009. To honor her life and work, the Ackerman Institute for the Family has established The Olga Silverstein Training award that will be presented annually to a gifted student who has completed the live clinical part of Ackerman’s program and is entering the first year externship training. A late starter in the family therapy field, she soon made up for her delayed entry and blazed an outstanding path over several decades. The daughter of Hungarian immigrants, she came to the United States at age seven, married young, and remained home rearing her three children until she was forty. Over the next seven years, she secured a high school diploma, a bachelor’s degree, and then a master of social work degree. In the mid-1970s she was co-founder with Peggy Papp of the Brief Therapy Project at the Ackerman Institute. The strategic interventions they developed from a systemic perspective are powerfully illustrated in Olga’s training film, “Who’s Depressed?” During the decade of the 1970s she and Papp joined Betty Carter and Marianne Walters to launch The Women’s Project in Family Therapy. They focused on examining the sexist concerns and theories that dominated their clinical practice, and soon began to offer workshops in the United States and abroad on women’s relationships in families. The pioneering and classic work, The Invisible Web: Gender Patterns in Family Relationships, was written by the four colleagues from this experience. Olga Silverstein became an international authority on mother-son relationships following publication of her book, The Courage to Raise Good Men. Some of the strength and power of her therapeutic work is reflected in her book with Bradford Keeney, The Therapeutic Voice of Olga Silverstein. Besides teaching and supervising in New York and serving as a clinical research associate at Texas Tech University, Olga was also an honorary professor of clinical psychiatry in Spain and made presentations at the famed Tavistock Clinic in London. The American Family Therapy Academy honored her with a Lifetime Achievement Award. Summarizing her strengths, contributions, skills, and personal qualities in written words is not possible: She was a presence." Auf Deutsch ist ein Interview aus dem Jahre 1988 über ihre Erfahrungen als emigrierte Jüdin mit Besuchen in Deutschland erschienen, das hier gelesen werden kann…
 "Die Ideengeschichte rotiert in sich selbst, und eben das korreliert mit dem doppelten Gewinn von Kausalität aus dem Nichts und von Strukturkausalität. Geht man von diesem Grundgedanken aus, dann läßt sich das Geschehen in der soziokulturellen Evolution und speziell in der Evolution ernsthafter, bewahrenswerter Semantik auf eine relativ einfache Formel bringen: Es handelt sich immer um eine Strukturierung und Umstrukturierung von differenzbezogenen Sensibilitäten, und zwar tendentiell um eine Abschwächung der Sensibilität für Beliebiges und eine Steigerung der Sensibilität für Bestimmtes. Nichts anderes ist gemeint, wenn man von Ausdifferenzierung spricht. Auch hierfür ein Beispiel: Beim Einschenken von Wein in ein Glas wird die Koordination von Auge, Hand, Lage der Flasche und Stand der Füllung des Glases durch diesen Typus von Orientierung an Differenzen kybernetisch reguliert. Das ist der elementare Prozeß. Wenn das einigermaßen funktioniert, kann ein Beobachter an der Lage des Daumens beim Einschenken erkennen, ob der Einschenkende erzogen worden ist oder nicht und ob man ihn gegebenenfalls einladen kann (natürlich nicht wegen seiner Fähigkeit, Wein einzuschenken, sondern wegen der daraus zu ziehenden Schlüsse!). Schließlich kann ein Soziologe, der ein solches Beispiel in einem Vortrag auf einem Soziologenkongreß wählt, wissen, daß ihm diese Wahl als Indikator für Zugehörigkeit zur "konservativen" Fraktion ausgelegt werden wird; er kann dies wissen und es trotzdem tun und sich darüber freuen, daß bei hochspezialisierten Differenzierungen ein bißchen Durchgriffskausalität doch noch funktioniert." (In: Ideenevolution. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, S. 242 f.)
Tuesday, September 29. 2009
 Der soziale Konstruktionismus untersucht, wie gesellschaftliche Wirklichkeit über sprachliche Mittel hergestellt wird. Alles scheinbar Reale ist durch Beziehungen aufgebaute Konstruktion. Kenneth J. Gergen, einer der Begründer dieser Schule, vermittelt gemeinsam mit seiner Frau Mary in der vorliegenden Einführung ein Grundverständnis für die Ideen des Sozialen Konstruktionismus. Damit wird die mittlerweile auf eine beachtliche Größe angewachsene Reihe Carl-Auer-Compact des Carl-Auer-Verlages um einen gewichtigen Titel erweitert. systemagazin bringt einen Vorabdruck des zweiten Kapitels aus dem dieser Tage erschienenen Bandes: Von der "Kritik zur Rekonstruktion". Zum Vorabdruck…
Sunday, September 27. 2009
 "Wer da glaubt, die ursprüngliche causa movens des Wählers sei politisches Interesse, sei die ernste Sorge um die Verwaltung des Vaterlandes, der irrt. Das Parteigefühl ist in fast allen Fällen erst nachträglich als Beweggrund zum Wählen eingeschoben. Aber soviel Selbstpsychologe ist der Staatsbürger nicht, um zu erkennen, daß er in der Wahrung seiner vornehmsten Rechte kleinlicher Eitelkeit folgt. Er konstruiert erst aus der Handlung, die er gern tut, das Motiv, das ihm diese Handlung erst recht weihevoll erscheinen läßt. Es geht so wie Nietzsches bleichem Verbrecher, der den von ihm Ermordeten beraubt, um vor sich selbst einen Grund zum Mord zu haben. Der Ausfall der Wahl regt den Wähler kaum anders auf, als das Ende eines Wettrennens den, der auf ein bestimmtes Pferd gesetzt hat. Daß es sich bei dem Wettenden um Geld handelt, während sich der Wähler ideelle Interessen einbildet, macht keinen Unterschied. Denn erstens stehen alle Staatsbürgerideale auf materieller Grundlage und werden erst in der politischen Abstraktion ideell verklärt, und zweitens verquickt sich bei dem Startsetzer das Interesse an der riskierten Summe so sehr mit der Aufregung des Zuschauens, daß es sich zu einer wirklich begeisternden Spannung auswächst." (In: Zur Naturgeschichte des Wählers - 1907)
Saturday, September 26. 2009
Zu diesem Thema findet vom 29.-30.10. eine kostenlose und anmeldungsfreie Fachtagung an der Fachhochschule Hannover statt. Bei der Tagung soll es inhaltlich zum einen darum gehen, die mögliche Bedeutung von Systemtheorie (insbesondere der Bielefelder Schule) für die Themenbereiche Behinderung, Gesundheit und Soziales in (grundlagen-)theoretischer, methodischer und praktischer Hinsicht aufzuzeigen und zum anderen darum, im Dialog mit weiteren Positionen deren Grenzen und Problemzonen auszuloten. Es geht dabei um die Frage, was die neueren system-, differenz- und beobachtungstheoretischen Erkenntnisse über die Fächer hinaus, denen sie sich verdanken, für die Heilpädagogik, die Pflege und Gesundheit sowie Soziale Arbeit bedeuten und welche Chancen, aber auch welche Risiken und Nebenwirkungen von ihnen erwartet bzw. befürchtet werden? Auf der Suche nach Antworten lädt daher die Abteilung Heilpädagogik alle interessierten Studierenden, AbsolventInnen, Lehrenden, PraktikerInnen aus den genannten Arbeitsbereichen zu dieser Tagung ein. Alle Vorträge finden in der Aula der Fachhochschule Hannover (FHH) am Standort Blumhardtstraße 2, 30625 Hannover statt, die Raumangaben für die Workshops werden vor Ort ausgehängt. Die Tagung ist kostenfrei und nicht anmeldungspflichtig. Referenten sind u.a. Peter Fuchs, Jan Weisser, Martin Hafen, Karin Terfloth, Winfried Palmowski, Regina Klaes, Marion Schnurnberger und Dieter Weber.
Friday, September 25. 2009
 Auf eine Post aus Perturbistan hat die geneigte Leserschaft lange warten müssen. Angesichts der Wahlen hat Lothar Eder aus Mannheim wieder zur Feder gegriffen und seine Wahlkampf-Pertubationen aufgeschrieben. "Jetz isses bald wieder soweit und ich weiß immer noch nicht, was ich wählen soll, sag ich zu Berta. Du? Nö, macht sie. In ein paar Tagen, am 27.9. ist Bundestagswahl. Der sogenannte Wahlkampf brummt vor sich hin und die rechte Wahllust bleibt dem Volke aus, so will es scheinen." Zur aktuellen Post aus Perturbistan…
 "Vielleicht könnte die Absolutheit der Liebe durch die Freundschaft relativiert und dadurch lebbarer werden. Der Gewissheitsillusion und der Ungewissheitsparanoia der Liebe könnte vielleicht mit dem gnädigen Kontingenzpotenzial (alles könnte auch ganz anders sein) geholfen werden. Man könnte sich dann fragen, ob man auch mit sich selbst befreundet sein möchte und warum oder warum auch gerade nicht. Dem Hinnehmen-Müssen der Liebe bzw. ihrer Abwesenheit könnte vielleicht mit dem Freien und Werben des Tunkönnens des Freundens geholfen werden, dem Autonomieverlust durch die Liebe bzw. den Identitätsversprechungen der Liebe wäre vielleicht durch das Recht auf Eigenes und die Selbsterzeugung durch die Freundschaft beizukommen. Es ließe sich dann fragen, wie das Verhältnis ist von gemeinsamem Lästern und Spotten über andere und anderes einerseits und der gemeinsamen Verständigung über ein gutes und schönes Leben andererseits. Der Substanzvorstellung der Liebe wäre vielleicht durch den Prozess der Freundschaft - das Freunden - beizukommen, und es ließen sich dann Fragen nach dem Verhältnis von Wohlwollen zu Wohltun stellen, und die Aufrichtigkeits- und Offenbarungsverpflichtung der Liebe wäre mit der Diskretion der Freundschaft zu mildern. Andererseits ließen sich aber auch vielleicht die verschärften marktwirtschaftlichen Kriege der Tauschgeschäftseskalationen einer Partnerschaft durch den einen oder anderen Freundschaftsbeweis von Geschenken entschärfen, und die spastische Verkrampfung auf das Recht ließe sich vielleicht durch die Fokussierung auf die Freiheit der Freundschaft, der Freunde und des Freundens lockern und entspannen. Man könnte sich dann selbst fragen, ob wir bei einem wichtigen Dissens mit unserem Partner wirklich glauben, dass unser Partner eine Berechtigung für seine Meinung hat. Es ließe sich vielleicht gar noch mancher freundschaftliche Streit und Kampf um die Paarbeziehung führen, wo sonst nur harmonische Stagnation herrscht, und es ließe sich vielleicht aber auch manch ein chronifizierter partnerschaftlicher Stellungskrieg in aller Freiheit beenden. Denn es scheint dann genauso gut, eine schlechte Freundschaft zu beenden wie um eine gute zu kämpfen." (In: Freundschaft. Der dritte Weg zwischen Liebe und Partnerschaft? Familiendynamik 31, 2006, 149f.)
Thursday, September 24. 2009
Die aktuelle Ausgabe des Online-"Journals für Psychologie" wird von Barbara Zielke & Thomas Slunecko mit dem Schwerpunktthema Dialog/Dialogizität herausgegeben. Mit dabei ist auch ein Originalbeitrag von Kenneth Gergen (in englischer Sprache). Im abstract heißt es: "Theorien sozialer Prozesse haben sich traditionell auf individualisierte Untersuchungseinheiten konzentriert, etwa auf die Person, die Gemeinschaft, die Organisation. Die Beziehungen zwischen den Einheiten werden dadurch marginalisiert und oft auf kausale Relationen reduziert. Nicht zuletzt aus diesem Grund erscheinen dialogische Prozesse bis heute nicht ausreichend theoretisch beleuchtet. Der vorliegende Beitrag analysiert zunächst einige vorliegende Theorien des Dialogs, um dann für die Konzeptualisierung des Dialogs als kollaborativem Handeln zu plädieren. Die Konstitution von Bedeutung wird dabei nicht dem Individuum und seinen Fähigkeiten, sondern dem kollaborativen Prozess selbst zugeschrieben. Die bedeutungsvollen (Sprech-)Handlungen der Dialogteilnehmenden sind mithin ko-konstitutiv und die Unterscheidung von Ursache und Wirkung wird obsolet. Der Beitrag diskutiert die Implikationen dieser Sichtweise unter Berücksichtigung kultureller und historischer Kontexte dialogischen Handelns." Zum vollständigen Text…
 da hat die wissenswerkstatt.de doch gestern eine schöne Schlagzeile im Online-Express gefunden, die leider schnell wieder verändert worden ist. Immerhin wurde sie zur ehrlichsten Schlagzeile in der Wahlkampfberichterstattung gekürt (Zum Vergrößern bitte auf das Bild klicken)
Wednesday, September 23. 2009
 Heute vor 70 Jahren starb in London Sigmund Freud (Foto: Wikimedia Commons), der nicht nur die Psychoanalyse begründet hat, sondern auch ein wunderbarer Schriftsteller war. Auch wenn viele seiner theoretischen Konzepte mittlerweile selbst der Vergänglichkeit anheimgefallen sind, ist die Lektüre seiner Arbeiten immer wieder ein Genuss. Ihm sei mit diesem Zitat des Tages, in dem es genau um diesen Wert des Vergänglichen geht, gedacht: "Der Vergänglichkeitswert ist ein Seltenheitswert in der Zeit. Die Beschränkung in der Möglichkeit des Genusses erhöht dessen Kostbarkeit. Ich erklärte es für unverständlich, wie der Gedanke an die Vergänglichkeit des Schönen uns die Freude an demselben trüben sollte. Was die Schönheit der Natur betrifft, so kommt sie nach jeder Zerstörung durch den Winter im nächsten Jahre wieder, und diese Wiederkehr darf im Verhältnis zu unserer Lebensdauer als eine ewige bezeichnet werden. Die Schönheit des menschlichen Körpers und Angesichts sehen wir innerhalb unseres eigenen Lebens für immer schwinden, aber diese Kurzlebigkeit fügt zu ihren Reizen einen neuen hinzu. Wenn es eine Blume giebt, welche nur eine einzige Nacht blüht, so erscheint uns ihre Blüte darum nicht minder prächtig. Wie die Schönheit und Vollkommenheit des Kunstwerks und der intellektuellen Leistung durch deren zeitliche Beschränkung entwertet werden sollte, vermochte ich ebensowenig einzusehen. Mag eine Zeit kommen, wenn die Bilder und Statuen, die wir heute bewundern, zerfallen sind, oder ein Menschengeschlecht nach uns, welches die Werke unserer Dichter und Denker nicht mehr versteht, oder selbst eine geologische Epoche, in der alles Lebende auf der Erde verstummt ist, der Wert all dieses Schönen und Vollkommenen wird nur durch seine Bedeutung für unser Empfindungsleben bestimmt, braucht dieses selbst nicht zu überdauern und ist darum von der absoluten Zeitdauer unabhängig." (In: Vergänglichkeit. Der Text stammt aus: Das Land Goethes 1914–1916. Ein vaterländisches Gedenkbuch. Herausgegeben vom Berliner Goethebund. Stuttgart und Berlin: Deutsche Verlags-Anstalt 1916. S. 37–38.)
Vom 17.-18.09.2009 fand das 3. bundesweite Netzwerktreffen zum Thema Familienrat — Family Group Conference (FGC) in Stuttgart statt. Teilgenommen haben über 100 Teilnehmer/-innen aus dem Bundesgebiet. Vertreten waren u.a. Kollegen/-innen aus Stuttgart, Augsburg, München, Hamburg, Köln, Kassel, Dresden, Main-Taunus-Kreis, Frankfurt/Main, Berlin und Braunschweig. Familienrat/Family Group Conference ist keine neue zusätzliche sozialpädagogische Methode, sondern stellt ein Konzept mit einer neuen Haltung zur Hilfe dar, die umfassende Partizipation fördert und fordert, woraus eine andere Organisation von Entscheidungsfindungsprozessen resultiert. Andreas Hampe-Grosser und Heike Hör haben einen Tagungsbericht zum Netzwerkstreffen zu diesem vielversprechenden ressourcenorientierten Ansatz für das systemagazin verfasst. Zum vollständigen Text…
Tuesday, September 22. 2009
 "Familie ist heute kein brauchbares Wort mehr, denn es beschreibt eine Situation, die es heute nicht mehr gibt. Familien sind heute nicht mehr nur Kernfamilien, bestehend aus Vater, Mutter und Kind. Eine Einengung der Familie auf biologische Elternschaft grenzt viele andere Familien aus, in denen Stiefkinder leben. Familie und Haushalt fallen nicht unbedingt mehr zusammen. Auf der Grundlage dieser Thesen schlägt Karl Lenz, ein Paar- und Familiensoziologe, vor, den Familienbegriff durch den Begriff der persönlichen Beziehungen zu ersetzen. Das, was vorher Familie genannt wurde, wird nun so definiert: Es handelt sich um eine Form von Beziehung, in der (a) die Personen nicht austauschbar sind, (b) deren Beziehung auf absehbare Zeit fortbestehen wird, (c) die emotional aufeinander bezogen sind und in fortwährender Interaktion stehen, (d) die persönliches Wissen umeinander aufgebaut haben. Diese Definitionen unterscheiden sich auf den ersten Blick nur wenig voneinander. Die Unendlichkeitsfiktion bzw. die Vereinbarung, dass man der Liebesbeziehung kein Verfallsdatum setzen möchte, auch, dass man die Eltern-Kind-Beziehung nicht aufzukündigen gedenkt, nicht heute und nicht in der Zukunft, teilen beide Definitionen. Auch die persönliche Unersetzbarkeit gilt nicht als überholt. Trennung und Scheidung sind auch in der „moderneren“ Definition nicht einfach hinzunehmende Tatsachen, sondern Katastrophen. Auch die in der älteren Familiensoziologie betonten Solidaritätsformen der affektiven, der erotischen und der unbedingten Solidarität werden im Begriff der persönlichen Beziehungen nicht aufgegeben. Dass jede auf Dauer angelegte Beziehung zu einem persönlichen, im Lauf der Zeit angehäuften Fundus an Wissen, besser gesagt: zu einer gemeinsamen Geschichte führt, wird weder hier noch dort in Zweifel gezogen. Worin also unterscheiden sich die beiden Konzepte? Sie unterscheiden sich in zwei wesentlichen Elementen: (1) In der Definition der persönlichen Beziehungen entfällt die biologische Elternschaft, und (2) es entfällt die Koppelung von Haushalt und Familie." So beginnt das spannende erste Kapitel eines Buches, das Dorett Funcke gemeinsam mit Bruno Hildenbrand, systemisch interessierten Lesern längst und gut bekannt, in zu erwartender Qualität verfasst hat und in diesen Tagen im Carl-Auer-Verlag erscheint. systemagazin bringt das ganze Kapitel als Vorabdruck. Zum vollständigen Text geht es hier …
Monday, September 21. 2009
Einige Presseberichte über die Todesfälle während einer „psychotherapeutischen“ Sitzung in Berlin-Hermsdorf und die darin berichteten Statements des Psychotherapeuten Weidhaas können dieses Missverständnis nahelegen, zumal Hans-Jochen Weidhaas in einer Zeitung sogar als stellvertretender Vorsitzender der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer vorgestellt wird. "'Bei der Gruppenssitzung handelte es sich um eine sogenannte 'psycholytische Therapie'. 'Eine Psycholyse, wie sie der Hermsdorfer Arzt in seiner Praxis angeboten hatte, ist explizit nicht zugelassen', so Hans-Jochen Weidhaas, stellvertretender Vorsitzender der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer. Drogen seien ohnehin verboten. Bei einer kassenärztlichen Zulassung sei der Therapeut an die offiziellen Richtlinien gebunden, sagte Weidhaas. „Und hier ist klar festgelegt, mit welchen Methoden beziehungsweise mit welchen Verfahren jemand Patienten behandeln darf.“ In Deutschland gebe es rund 250 Psychotherapieverfahren. „Aber in der vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sind davon nur drei: nämlich die Verhaltenstherapie, die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und die Psychoanalyse.“ Vor diesem Hintergrund solle der Patient sicherstellen, dass der jeweilige Therapeut eine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung hat, riet Weidhaas." So berichtete der Kölner "Express". Zu dieser bekannten Art, auf der Herdplatte aktueller Katastrophennachrichten sogleich ein eigenes Süppchen zu kochen, hat Gerd Böttcher in den „Berliner Blättern für Psychoanalyse und Psychotherapie“ einen Kommentar verfasst, der mit freundlicher Erlaubnis auch hier erscheint:
"Die großenteils noch nicht aufgeklärten Todesfälle in einer auch psychotherapeutisch zugelassenen ärztlichen Praxis in Berlin haben für die Tageszeitungen einen hohen nachrichten- und verkaufspolitischen Wert. Fachleute werden angefragt, um solche Vorgänge zu kommentieren. Sie sind häufig zu schnell zu Deutungen bereit, ehe die Zusammenhänge wirklich geklärt sind. Naheliegend ist es, dass die Medien Fachleute befragen, die vorgeben, die gesamte Psychotherapeutenschaft zu repräsentieren, wie es die Verbandsbezeichnung “Deutsche Psychotherapeutenvereinigung“ suggeriert, (Suggerieren laut Duden: einen bestimmten den Tatsachen nicht entsprechenden Eindruck entstehen lassen) so dass dieser Verband schließlich sogar mit der Bundespsychotherapeutenkammer verwechselt wird. Die Deutsche Psychotherapeutenvereinigung ist aber nicht die Vereinigung der deutschen Psychotherapeuten, sondern ein Verband unter vielen Psychotherapeutenverbänden. Wer sich mit solchem Repräsentationsanspruch anbietet, gerät häufig in Gefahr, mit der Nachrichtenkommentierung zugleich sein eigenes Anliegen zu verkaufen, nämlich die drei vertragsärztlich zugelassenen Psychotherapieverfahren unter „rund 250“ nicht zugelassenen Verfahren auch als allein berufsethisch vertretbare und wissenschaftlich anerkannte Verfahren gelten zu lassen. Der dahinter verborgene besitzstandswahrende Wissenschaftseklektizismus wird dabei selten erkannt. Immerhin könnte die verfahrenseinschränkende Regulierungshartnäckigkeit in der gesetzlichen Krankenversorgung durch Gesetzgeber, Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen das Feld unkontrollierter Psychotherapieverfahren erst ermöglichen. Die Unheilsmeldung von Berlin-Hermsdorf provoziert schnelle distanzierende Verurteilung. Psychotherapeutische Ethik birgt aber auch die Möglichkeit der Geduld und Deutungsabstinenz, die nicht vorschnell anklagt, sondern zuerst verstehen will, was sich in Hermsdorf eigentlich ereignet hat." Gerd Böttcher Berliner Blätter für Psychoanalyse und Psychotherapie www.bbpp.de mit den Maillisten http://de.groups.yahoo.com/group/psychotherapeuten/ http://de.groups.yahoo.com/group/psychoanalyse/ redaktion@bbpp.org
"Überredungs definitionen (persuasive definitions) sind Definitionen, die weniger bestimmen, eingrenzen und klären (was ihre Aufgabe wäre), als vielmehr mit emotional aufgeladenen Wörtern zu ›überzeugen‹ trachten und so auf mehr oder weniger direkte, mehr oder weniger polemische Weise Eindeutigkeiten erzeugen, d.h. es handelt sich um Versuche, die Einstellungen und Gefühle der Adressaten in bestimmter Hinsicht zu bearbeiten und zu dirigieren. In Überredungsdefinitionen kommt die Kraft der ›guten‹ und der ›bösen‹ Wörter erst richtig zur Geltung. Je eindeutiger die emotionale Geladenheit der Wörter (sei es im positiven oder negativen Sinn), je mehr also das Pädagogenherz ergriffen oder aber abgestoßen ist, desto schwerer mag es ihm fallen, den strategischen Gebrauch der Sprache überhaupt noch zu erkennen. Vielmehr meint es dann wahrscheinlich, mit der moralischen Wirklichkeit und Wahrheit in ganz besonders engem Kontakt zu stehen. Daß Überredungsdefinitionen oft unauffällig daherkommen, gehört zu ihrer Variabilität und Stärke. Wenn beispielsweise Alternativ- und Privatschulen dadurch definiert werden, daß in ihnen – scheinbar im Unterschied zu anderen, z.B. öffentlichen Schulen – die »Achtung vor der Persönlichkeit der Schülerinnen und Schüler im Zentrum steht«, oder wenn möglichst wenig »extrinsische« Motive, dafür aber um so mehr »intrinsische« Motive gestärkt, gefördert bzw. befriedigt oder wenn Schulen als »embryonale Gesellschaften« verstanden, Kinder schlicht als »anders« begriffen werden sollen (und so weiter und so fort), dann handelt es sich im besten Fall um pädagogische Slogans, die einerseits oft eine hohe Zustimmungsrate erheischen, andererseits aber definitorisch überhaupt nichts bedeuten außer eben, daß sie als Pseudodefinitionen Überredungskraft besitzen." (In: "Aktiv, offen und ganzheitlich. Überredungsbegriffe – treue Partner des pädagogischen Besserwissens", parapluie no. 19 (sommer 2004). http://parapluie.de/archiv/worte/paedagogik/ )
Sunday, September 20. 2009
Thursday, September 17. 2009
 Carmel Flaskas (Foto: newspaper.unsw.edu.au) hat vor einiger Zeit (1999) einen interessanten Aufsatz veröffentlicht, in dem sie sich mit der postmodernen und sozialkonstruktionistischen Idee des Selbst als eines relationalen Phänomens, das sich in den sozialen Narrativen offenbart, kritisch auseinandersetzt. Sie plädiert gegen diese Konzeption für eine theoretisch flexiblere Option, nach der das Selbst sowohl als relational als auch als autonom in dem Sinne betrachtet werden kann, dass es auch eine vom sozialen Diskurs unabhängige Basis hat, als "a sense of a physical and emotional being, an embodied self, an experience of the autonomous self". Im abstract des Aufsatzes, der im Australian and New Zealand Journal of Family Therapy erschien, heißt es: "The task of theorising the self has been of little interest historically in systemic therapy, yet becomes more interesting in the postmodern turn to the narrative metaphor and social constructionist ideas. Within this frame, the self is theorised as relational, fluid, and existing in narrative. The ‘postmodern narrative self’ counters modernist assumptions of self as an autonomous and fixed ‘internal’ entity, and brings with it theory and practice possibilities. However, any theory also brings limits, and this paper explores the limits of the central ideas of the postmodern narrative self. Through questioning and discussion, an argument is made for holding a dialectic in our thinking about the relational and autonomous self, for acknowledging very real boundaries on the fluidity of self, and for thinking of narrative as one way of knowing self, rather than exclusively constituting the ‘being’ of self." Der Aufsatz ist online hier zu finden…
Wednesday, September 16. 2009
Tuesday, September 15. 2009
 Ich habe Wittgenstein nie vertieft studiert, und das, was ich – fragmentiert – aus seinen Schriften kennenlernte, nicht wirklich verstanden. Da aber der von mir sehr geschätzte Steve de Shazer immer wieder auf ihn zu sprechen kam, und Matthias Varga von Kibéd, von dem ich viel halte, über Wittgenstein spricht, als sei das so verständlich wie grundlegend, und weil die Idee des Nichtwissens, aus konstruktivistisch-systemischer Sicht so vertraut erscheint wie verstörend, habe ich einmal Vertrauen gefasst in die Möglichkeit, ein Buch von Wittgenstein zu lesen. Das ist natürlich Unsinn. Ich kann kein Buch von Wittgenstein lesen. Aber ich habe die Sätze dieses Buches gelesen, alle, und darüber nachgedacht, und ich war fasziniert und verstört, und hoffte, er habe nicht in allem recht, oder ich möge gescheiter werden, eines Tages, vielleicht. Das Buch, aus dem ich nicht ein, sondern wegen der jeweiligen Kürze, drei Zitate vorstellen möchte, ist: Ludwig Wittgenstein (1970) Über Gewißheit (hgg. Von G.E.M. Anscome & G.H. von Wright). Frankfurt/M.: Suhrkamp (BS 250) „321. Ich sage doch: Jeder Erfahrungssatz kann umgewandelt werden in ein Postulat – und wird dann eine Norm der Darstellung. Aber auch dagegen habe ich ein Misstrauen“ […./ S.84] „356. Mein „Seelenzustand“, das Wissen, steht mir nicht gut für das, was geschehen wird. Er besteht aber darin, dass ich nicht verstünde, wo ein Zweifel ansetzen könnte, wo eine Überprüfung möglich wäre“ [S.94] „378. Das Wissen gründet sich am Schluß auf der Anerkennung“ [S.99] Die Zitate habe ich ausgewählt, weil ich jetzt denke, ja, Wittgenstein könnte wirklich etwas bedeuten für das Studieren Systemischer Perspektiven. Aber wohl nicht ohne weiteres. Hatte ich „studieren“ gesagt? Whatyamean?
Monday, September 14. 2009
Seit langem beschäftigt sich Arnold Retzer mit der Frage, ob die Liebe eine ausreichender Kommunikationscode zur Absicherung dauerhafter Beziehungen darstellt oder ob Beziehungen mit intensiven Liebesanforderungen nicht auf Dauer überfordert sind. 2006 veröffentlichte er in der "Familiendynamik" einen Aufsatz über Freundschaft, die daraufhin untersucht wird, "ob sie geeignet ist, eine weitere Beziehungsform darzustellen, die in Paarbeziehungen praktizierbar ist. Dazu werden unterscheidende Merkmale von Freundschaft gesammelt und zu einem Kommunikationscode verdichtet. Abschließend werden die nun zur Verfügung stehenden drei Kommunikationscodes Liebe, Partnerschaft und Freundschaft zueinander in Bezug gesetzt." Der Aufsatz kann hier heruntergeladen werden…
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