Sunday, March 30. 2008
 Georg Franck, Architektur-Professor in Wien, ist einem breiteren Publikum durch seine fulminanten Analysen zur Ökonomie der Aufmerksamkeit und zum "Mentalen Kapitalismus" bekannt geworden, letzteres meiner Ansicht nach eines der besten Bücher der vergangenen Jahre. In Anlehnung an den Kapitalbegriff bei Marx und Bourdieu entwickelt Franck eine "Politische Ökonomie des Geistes, die darauf aufbaut, dass Beachtung wie Geld knappe Ressourcen darstellen, die nicht nur ausgegeben und eingenommen werden,  sondern auch akkumuliert werden können. In einer Mediengesellschaft wie der unsrigen wird das Kapital an Aufmerksamkeit, das angesammelt wird, zur entscheidenden Produktivkraft in Wirtschaft, Wissenschaft, Kunst und Medien-Öffentlichkeit. In einem ausführlichen Interview mit Herbert Hrachovec für die "Philosophische Audiothek" erläutert Franck sein Konzept von Aufmerksamkeitsökonomie, für das man sich die Zeit zum Zuhören nehmen sollte. Zum Audio-Interview…
Thursday, March 27. 2008
 So übertitelt Wolfgang Mertens, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Abteilung Psychoanalyse und psychodynamische Forschung der Ludwig Maximilian-Universität München eine Studie, in der er die Argumente für und wieder den Einsatz randomisierter Studien (RCT - Randomized Controlled Studies) in der Psychotherapieforschung untersucht und die auf der website der DGPT veröffentlicht wurde. Lesenswert ist eine Tabelle, in der Mertens eine Gegenüberstellung die wichtigsten Charakteristika von randomisierten und kontrollierten Studien sowie die Argumente dafür und andererseits die Einwände gegen RCT als alleiniges oder höchstes Effizienzkriterium auflistet. Diese Tabelle spricht für sich selbst! (Abb.: University of Washington) Zum vollständigen Text…
Tuesday, March 25. 2008
 Am 20.3. wurde an dieser Stelle auf einen recht komplizierten Aufsatz von Walter Ludwig Bühl hingewiesen, in dem dieser sich u.a. mit der Luhmannschen Rezeption von Gotthard Günther auseinandersetzt. Gotthard Günther, Jahrgang 1900, Philosoph und Logiker, emigrierte 1937 mit seiner jüdischen Frau nach Südafrika und 1940 in die USA, nachdem er in Leipzig von 1933 bis 1937 Assistent von Arnold Gehlen gewesen war. Heute ist er in der öffentlichen Wahrnehmung nur einem kleinen Publikum bekannt. In einem hinreißenden Interview, das Heinz von Foerster im Januar 1997 anlässlich eines Vortrages an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit Kai Lorenz und Gernot Grube über seine Begegnung und Zusammenarbeit mit Gotthard Günther führte, wird die Person von Günther auf sehr lesenswerte Weise nahegebracht. Zum vollständigen Text…
Monday, March 24. 2008
Annette Ziegler aus Wien hat im Jahre 2004 eine schöne Diplom-Arbeit über "Metaphern im Schizophrenie-Diskurs Betroffener und Angehöriger" geschrieben, die nun auch online zu lesen ist. Es handelt sich dabei nicht nur um eine kundige Einführung in die Metapherntheorie der kognitiven Linguistik nach Lakoff und Johnson, sondern auch um eine beeindruckende empirische Studie über die Metaphern, mithilfe derer Bilder und Metaphern erschlossen werden, die den "Alltagsdiskurs schizophrenie-erfahrener Menschen implizit anleiten". Die Arbeit ist umfangreich und ausgesprochen lesenswert: "Als Datenmaterial für die Metaphernanalyse dienten ‚natürliche Daten’ - in Büchern und Zeitschriften veröffentlichte Erfahrungsberichte von Schizophrenie-Beteiligten; analysiert wurden 37 Textdokumente Betroffener und 25 Erfahrungsberichte von Angehörigen. Im Ergebnisteil wird zunächst das Metaphernspektrum Betroffener detailliert beschrieben. Es zeigt sich, dass die rekonstruierten Metaphern die zentralen inhaltlichen Dimensionen der Schizophrenie – das sind Beschreibungen der Schizophrenie selbst, Charakterisierungen der schizophrenen Person, Vorstellungen über hilfreiche Umgangsweisen, Sinnzuschreibungen und Ursachenvorstellungen – jeweils in einem Bild zu verbinden vermögen. Die dargestellten metaphorisch strukturierten Handlungs- und Lösungserwartungen werden insbesondere dann relevant, wenn es um die Implementierung passender Behandlungsangebote geht. Etwa erfordert ein Kriegszustand Kampfgeist, Mitstreiter, Verbündete, Durchhaltewillen – wer Schizophrenie als Irrweg bebildert, braucht Anhaltspunkte, Wegweiser, Begleiter etc. In einem zweiten Analyseschritt wird auf der Grundlage einer Häufigkeitenanalyse der identifizierten Metaphernfelder die Metaphorisierungspraxis Betroffener und Angehöriger verglichen. Zentrale Be-deutung in den Texten beider Subgruppen kommt solchen metaphorischen Konzepten zu, die Betroffene und Angehörige als ausgelieferte Opfer unausweichlicher und beängstigender Vorgänge mit wenig Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten konstituieren. Die beiden wichtigsten metaphorischen Modelle sind im Betroffenen- wie im Angehörigendiskurs die Weg- und die Behälter-Metapher. Beide lassen Schizophrenie als Zustand der Abweichung von wichtigen gesellschaftlich und kulturell geteilten Werten und Normen erscheinen: Im Lichte der Weg-Metapher sind schizophrene Symptome als Komplementärerscheinungen zum gesellschaftlichen Ideal des ‚immer weiter’ und ‚immer schneller’ zu verstehen - die Behälter-Metapher kennzeichnet Schizophrenie als einen Zustand, in dem sich die für unser westliches Subjekt-Verständnis fundamentalste Konstante, die Trennung zwischen Subjekt und Objekt, Innen und Außen, aufzulösen beginnt. Unterschiede zwischen den Sprechergruppen zeigen sich v.a. in Bezug auf die Verortung der Schizophrenie. Angehörige tendieren dazu, die Schizophrenie in der als Behälter gedachten Person zu platzieren. Bei Betroffenen finden sich demgegenüber zahlreiche Metaphern, die die Schizophrenie externalisieren und sie als von der eigenen Person klar getrennten Gegenstand, als von außen kommende bzw. in Gang gesetzte Dynamik erscheinen lassen." Zum Volltext der Diplomarbeit…
Saturday, March 22. 2008
Bereits vor einigen Wochen wurde an dieser Stelle auf eine Arbeit von Stefan Schweizer über die Wurzeln des Konstruktivismus im Deutschen Idealismus hingewiesen. Ebenfalls im Online-Journal "Electroneurobiología" hat er 2007 eine Arbeit über die ideengeschichtliche Fundierung der konstruktivistischen Pädagogik veröffentlicht: "Der Aufsatz beginnt mit der These, dass einiges
an konstruktivistischem Theoriengut im pädagogisch-didaktischen Diskurs vertreten ist. Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Bildungsreform und Bildungsplanreform in Deutschland. Konstruktivistische Theorien sind aber nicht immer als solche kenntlich gemacht. Schreibt sich ein Autor den Konstruktivismus auf die Fahnen, dann trifft er nicht eben selten auf vornehme Distanz oder offene Ablehnung. Dies liegt u.a. daran, dass weder wissenschaftshistorische noch wissenschaftstheoretische Reflexionen hinsichtlich des Konstruktivismus vorkommen. Problematisch ist außerdem, dass die Radikalität konstruktivistischen Gedankenguts häufig Vorstellungen von Beliebigkeit und Willkür evozieren. Diesen Desideraten versucht vorliegender Aufsatz abzuhelfen. Durch
seine wissenschaftshistorischen Ausführungen leistet er einen Beitrag zur wissenschaftshistorischen Plausibilisierung und historischgenetischen Einordnung von Theorienfamilien. Der Deutsche Idealismus, insbesondere Fichte, bedingt aber auch Schelling, sind als Wegbereiter konstruktivistischen Gedankenguts identifiziert. Spezifizierungen nehmen konstruktivistische Erkenntnistheoretiker wie Schmidt und v. Glasersfeld vor. Mario Crocco und Colin Dougall weisen auf noch ältere, aristotelische Wurzeln der Theorie der Autopoiese gemäß der chilenischen Neurobiologen Maturana und Varela hin. Maturana und Varela wurden in einer Kultur sozialisiert, die über vier Jahrhunderte hinweg von der aristotelischen Philosophie und jesuitischem Gedankengut beeinflusst war. Diese Gesichtspunkte sind bisher in vorliegendem Forschungsprogramm des Autors noch nicht berücksichtigt. Nichtsdestoweniger, die mit dem konstruktivistischen Paradigma konvergierende systemtheoretisch-kybernetische Theorie der Autopoiese eignet sich hervorragend zur Verdeutlichung und kritischen Reflexion der wissenschaftstheoretischen Implikationen der (konstruktivistisch ausgerichteten) Selbstorganisationstheorie." Zum vollständigen Text…
Thursday, March 20. 2008
 Walter Ludwig Bühl, geb. 1934, Philosoph und Soziologe, der von von 1974-1996 einen Lehrstuhl für Soziologie u.a. mit den Arbeitsschwerpunkten Soziologische Theorie, Wissens- und Wissenschaftssoziologie an der Universität München innehatte, geht in diesem Aufsatz mit Niklas Luhmann ins Gericht, der auf website vordenker.de zu lesen ist. Er kritisiert vor allem dessen "Versuch (…), eine Soziologie und Gesellschaftstheorie zu rechtfertigen (oder wenigstens zu ,plausibilisieren'), die von der Entparadoxierung selbst erzeugter Paradoxien lebt". Als Kenner der Philosophie Gotthard Günthers, der für seinen Entwurf einer polykontexturalen Logik bekannt geworden ist und von Luhmann ausgiebig zitiert wird, polemisiert Bühl gegen Luhmann: "Im übrigen aber mißdeutet er Günther in allen wesentlichen Konstruktionselementen so gründlich, daß die Berufung auf ihn nur als Ausdruck der Mißachtung verstanden werden kann". Das ist harter Tobak, aber für alle lesenswert, die sich mit den philosophischen Grundlagen der Theoriekonstruktion Luhmanns auseinandersetzen wollen.
Zum vollständigen Text von Walter L. Bühl…
Monday, March 17. 2008
 2005 hat Heiko Kleve auf der website der Arbeitsgemeinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie AGSP eine umfangreiche "Verteidigungs- und Aufklärungsschrift" veröffentlicht, die sich gegen Angriffe auf eine konstruktivistische und postmoderne Fundierung der Sozialen Arbeit richtet. In der Zusammenfassung heißt es: "Konstruktivismus und Postmoderne sind zwei theoretische Perspektiven, die in den letzten Jahren auch Einzug in die Wissenschaft der Sozialen Arbeit gehalten haben. Beide Richtungen stellen jedoch gängige Verständnisse von Wissenschaft und sozialer Praxis radikal infrage, erlauben aber gerade deshalb eine theoretische Fundierung Sozialer Arbeit, die der Komplexität dieser Profession angemessen ist. Trotzdem sind diese Richtungen in der wissenschaftlichen Reflexion der Sozialen Arbeit sehr umstritten und werden nicht selten bekämpft. Ausgehend von dieser Kritik und Ablehnung hinsichtlich des konstruktivistischen und postmodernen Denkens werden im Folgenden – auf einer grundsätzlichen und wissenschaftstheoretischen Ebene – Entwicklungslinien der umstrittenen Paradigmen nachgezeichnet, um sie in ihrer Brauchbarkeit für die Wissenschaft der Sozialen Arbeit zu verteidigen. Quasi als Nebenprodukt wird damit eine knappe Einführung geboten in das postmoderne Differenzdenken." Der vollständige Text kann hier gelesen werden…
Saturday, March 15. 2008
 rebell.tv bringt einen Vortrag von Peter Fuchs als podcast, den dieser am 12.3. in der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten zum Thema gehalten hat und den man in voller Länge unter diesem Link anhören kann. rebell.tv-Moderator Stefan M. Seydel quetscht Peter Fuchs in einem kleinen Interview schon vor dem Vortrag über diesen aus. Wer sich einen ersten Eindruck machen will, kann sich das Interview hier anschauen. Viel Spaß!
Tuesday, March 4. 2008
 Diese Grafik spricht für sich selbst!
Sunday, March 2. 2008
 Das wunderschöne schweizerische, kulturwissenschaftlich-soziologisch-systemisch-anarchische video-blog rebell.tv sollte man regelmäßig besuchen. Stefan M. Seydel ist verantwortlich für die zahlreichen Videoclips und Interviews, die spannend, abgründig und amüsant sind und immer irgendeinen Mehrwert abwerfen. Hier nun das ausführliche Video eines Gespräches mit Heiko Kleve, einem der führenden systemtheoretisch inspirierten Sozialarbeitstheoretiker, in dem dieser u.a. über Konstruktivismus, Postmoderne, Ambivalenz, Aufstellungsarbeit nach Hellinger und die Systemtheorie Auskunft gibt. Zum Video…
Saturday, March 1. 2008
 Im Gesundheitssystem bewegt sich was. "Aus Fehlern lernen" geschieht nicht mehr nur hinter geschlossenen Türen. Das 2005 gegründete Aktionsbündnis Patientensicherheit geht die Frage, wie Fehler in der medizinischen Versorgung vermieden und wie die Auswertung von Fehlern zur Verbesserung der Behandlungssituation genutzt werden können, offensiv an. In Berlin wurde am 28. Februar eine aktuellen Broschüre des Aktionsbündnisses "Aus Fehlern lernen" vorgestellt. Dabei wird über z.T. tödliche Fehler nicht - wie bislang üblich - nur in der dritten Person gesprochen, vielmehr schildern 17 Autorinnen und Autoren aus ärztlichen, pflegerischen und therapeutischen Berufen Situationen, in denen ihnen bei ihrer Tätigkeit Fehler unterlaufen sind. Sie denken darüber nach, was sie selbst daraus gelernt haben und in wieweit andere daraus lernen können. Fehler, deren Vorkommen natürlich schuld- und schambesetzt ist, nur als individuelles Versagen zu verstehen, um dann im Medizinbetrieb zur Tagesordnung übergehen zu können, verhindert die Entwicklung einer Fehlerbearbeitungskultur, die Fehler zum Anlass nimmt, über die Qualität des Systems nachzudenken. In einem Methodenteil werden Behandlungsfehlerfälle einer exemplarischen Ursachenanalyse unterzogen, der Serviceanhang enthält nützliche Adressen für Fehlerberichts- und Lernsysteme in Deutschland. Vorsitzender des Aktionsbündnisses ist Prof. Matthias Schrappe, der seit vielen Jahren für seine Aktivitäten im Bereich des Fehlermanagements im Krankenhauswesen bekannt ist. Zur lesenswerten Broschüre…
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