Scott D. Miller, bekannter Psychotherapieforscher, Leiter des Institute for the Study of Therapeutic Change und früherer Mitarbeiter am BFTC in Milwaukee, dessen gemeinsame Bücher mit Barry L. Duncan und Mark A. Hubble auch in Deutschland breit rezipiert wurden, hat 2004 für das australische Magazin "Psychotherapy in Australia" einen sehr persönlichen und recht pessimistischen Aufsatz über die Wirksamkeit von Therapie unter dem Titel "Losing Faith: Arguing for a New Way to Think About Therapy" verfasst. Sein Schlusswort: "At length, I’ve come to accept that I cannot know ahead of time whether my interaction with a particular person on a given day in my office will result in a good outcome. Neither is all my knowhow, years of training and experience any guarantee. Our grand theories, clever techniques, even our best efforts to relate to and connect with others are empty - full of potential, yes, but devoid of any power or significance save that given to them by the person or people sitting opposite us in the consulting room. Thinking otherwise is not a demonstration of our faith, but actually conceit. The promises and potential notwithstanding, we simply have to start meeting and then ask, can they relate to us, to what we’re doing together at the moment? I know they will tell us. I now also have faith that, no matter the answer, the facts will always be friendly." Allen Lesern empfiehlt er jedoch, vor der Lektüre dieses Artikels den an gleicher Stelle erschienenen und gemeinsam mit Duncan und Hubble verfassten Aufsatz "Beyond Integration: the Triumph of Outcome Over Process in Clinical Practice" zu lesen.
Seit über 10 Jahren ist das hochinteressante Internet-Kulturmagazin paraplui online. Die aktuelle Ausgabe Winter 2007/08 befasst sich mit dem Thema Autobiografie, das - wie die Herausgeber zu Recht feststellen - in der Postmoderne Konjunktur hat: "Wir gehen davon aus, daß der aktuelle Boom an Autobiographien kein kurzfristiges Phänomen ist, sondern daß er im Kern eine Reaktion auf ein größeres sozialhistorisches Referenzproblem darstellt, das durch die medientechnologische Entwicklung der letzten 20 Jahre einen massiven Katalyseeffekt erfährt. Bedingt durch zunehmende funktionale Ausdifferenzierung und damit einhergehenden zunehmenden Kontingenzerfahrungen (Wahlmöglichkeiten) sieht sich das Individuum gezwungen, eine Instanz zu schaffen, die als Zuschreibungspunkt für die wechselnden Rollen des Alltags dienen kann und in der Zeit mit sich selbst identisch bleibt. Das eigene 'Innere' rückt in den Fokus der Aufmerksamkeit des Individuums, das sich nun mehr und mehr als 'in seinem Innersten' von seiner Umwelt verschieden und damit als 'einzigartig', aber auch als 'entfremdet' erfährt. Die Rede ist mit anderen Worten von moderner Subjektivität. Zur Stabilisierung eines solchen Ichs ist die Autobiographie hervorragend geeignet. Der einzelne kann sich in ihr seiner selbst, seiner eigenen Geschichte (und seines 'Innern' als dem Raum, in dem über nicht realisierte Möglichkeiten reflektiert wird) versichern -- und er muß dies in einer Gesellschaft, in der das Ich eine der letzten nicht-kontingenten Instanzen ist, auch zunehmend tun: "Selbstdarstellung, Inszenierung des eigenen Image ist die Devise. Mach dich öffentlich, feature dich selbst oder du bist raus aus dem Spiel." (Schöpf/Stocker)". Es gibt online jede Menge interessanter Texte zu lesen, ein Besuch lohnt sich! Und hier gehts zum paraplui…
Der "Wissenschaftliche Beirat Psychotherapie" hat im Internet sein sogenanntes "Methodenpapier" veröffentlicht, das "als Verfahrensgrundlage für die zukünftige Gutachtentätigkeit des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie mehrheitlich bei einer Gegenstimme beschlossen" wurde. Bei dem einzigen Beiratsmitglied mit abweichendem Votum handelte es sich um Jürgen Kriz, dessen Minderheitenvotum gemeinsam mit dem Methodenpapier veröffentlicht wurde und in dem es heißt: "Indem das 'Methodenpapier' die Begutachtung der entscheidenden Frage nach der 'wissenschaftlichen Anerkennung' auf quantitative Wirksamkeitsbeweise reduziert, werden viele wichtige Belege zur Wissenschaftlichkeit, Wirksamkeit und zum Nutzen eines Verfahrens außen vor gelassen, die aus qualitativen Einzelfall- und Gruppenstudien, aus der quantitativen und qualitativen Prozessforschung oder der Forschung zur Wirkweise stammen (um nur wenige weitere Ansätze wissenschaftlicher Psychotherapieforschung zu nennen). Diese systematische Nicht-Berücksichtigung solcher Forschungsergebnisse durch das „Methodenpapier“ steht in krassem Gegensatz zur Evidenz, die viele Wissenschaftler bei der Beurteilung von Psychotherapieverfahren gerade (auch) aus solchen Forschungsansätzen ziehen und die dazu geführt haben, dass weit mehr als die Richtlinienverfahren (auch) in deutschen Universitäts-Lehrbüchern oder universitären Prüfungskatalogen etc. als wirksam und nützlich aufscheinen und von der internationalen Wissenschaftlergemeinschaft auch als wirksam und nützlich beurteilt werden. (…) Dieses 'Methodenpapier' zeigt (…) keine Wege auf, um wissenschaftlich begründbare und begründete Forschungsbelege zur Wirksamkeit und zum Nutzen eines Psychotherapieverfahrens - über eine enge quantitative Prüfmethodik hinausgehend - zu berücksichtigen. Es stellt daher eine kaum zu nehmende Hürde für solche Verfahren dar, deren wissenschaftliche Begründung und Erforschung vorwiegend (auch) anderen Paradigmen bzw. Prüfmethodiken folgt(e). Das 'Methodenpapier' lässt sich daher zu leicht als ein Bollwerk dafür verwenden, um in der internationalen Wissenschaft angesehene Verfahren in Deutschland nicht wieder für die ambulante Versorgung und die Ausbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten zuzulassen." Fazit: Nicht viel Neues unter der Sonne, was die Politik des Wissenschaftlichen Beirates betrifft. What a shame. Zum vollständigen Text des Methodenpapiers…
Nachdem im systemagazin im September letzten Jahres auf eine DGB-Studie über die Wahrnehmung von Arbeitsbedingungen seitens der deutschen Arbeitnehmer aufmerksam gemacht hat, gibt es nun wieder über ein interessantes Forschungsprojekt zu berichten. Das Online-Magazin Telepolis berichtet über eine neue, groß angelegte Studie, die die Wechselwirkungen zwischen Unternehmenskultur, Arbeitsqualität und Mitarbeiterengagement beleuchtet und als Forschungsprojekt vom Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in Auftrag gegeben worden ist. Unter anderem differenziert die Untersuchung "vier verschiedene Mitarbeitertypen, die sich in sehr unterschiedlicher Weise mit ihrem Unternehmen identifizieren. Bedenklich erscheint den Autoren um Studienleiter Frank Hauser, dass nur 31 Prozent zur Gruppe der Aktiv-Engagierten gehören, die mit hoher Einsatzbereitschaft arbeiten und allenfalls bedingt zwischen eigenen Vorstellungen und den jeweiligen Unternehmenszielen unterscheiden. 37 Prozent zählen sich zu den Passiv-Zufriedenen, die wenig Konkretes gegen ihr berufliches Umfeld vorzubringen haben, aber auch nicht bereit sind, gestaltend in die eigene Arbeitssituation einzugreifen. Immerhin ein Drittel der Beschäftigten gehört zur kritischen Gruppe der Akut-Unzufriedenen (18 Prozent) oder gänzlich Desinteressierten (14 Prozent). Besondere Beachtung verdient nun der Umstand, dass die Unternehmensführung offenbar direkten Einfluss auf diese prozentuale Verteilung nehmen kann. In Betrieben, in denen die Mitarbeiterorientierung einen besonderen Stellenwert genießt, die Arbeitnehmer eine kompetente Führung, Anerkennung, Fairness und Teamgeist erleben oder gar an wichtigen Entscheidungen beteiligt werden, wächst der Anteil der Aktiv-Engagierten auf 45 Prozent, während die Akut-Unzufriedenen nur noch 10 Prozent stellen." (Telepolis). Die Studie kann im vollen Umfang von 256 Seiten hier heruntergeladen werden…
Günter Lueger, Wissenschaftlicher Leiter der PEF-Privatuniversität für Management in Wien mit psychoanalytischer und systemisch-lösungsorienterter Ausbildung beschäftigt sich in einem im Internet veröffentlichten Beitrag mit den Tücken einer Ist-Analyse, die zum festen Bestandteil vieler Change-Projekte in Unternehmen stehen: "Im Rahmen dieses Artikels sollen diese Ist-Analysen in einer anderen und ungewöhnlichen Perspektive diskutiert werden. Die zentrale These richtet sich dabei auf einen nach Meinung des Autors bisher vernachlässigten Aspekt: Ist-Analysen sind nicht eine wesentliche Basis von Veränderungsprozessen sondern erschweren und verhindern in vielen Fällen Veränderung! Allerdings gilt dies nicht für jegliche Form des Vorgehens, sondern vor allem für die in der Praxis häufig eingesetzten Methoden, die sich nicht oder nur in geringem Ausmaß an systemischen Grundprinzipien orientieren. Deshalb werden im Rahmen dieses Beitrages auch methodische Alternativen vorgestellt." Zum vollständigen Artikel…
Ein eindrucksvoller Artikel über die öffentliche Gewalt auf den Straßen findet sich heute in der TAZ. Autor ist der Soziologe und Lehrgebietsleiter an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster, Joachim Kersten. Er erklärt, warum die Strafverschärfung für junge Gewalttäter keine Effekte erzielt, sondern es vielmehr darum geht, "Netzwerke aus Professionellen und Engagierten in den entsprechenden Vierteln (zu schaffen). Es braucht ein tatsächliches Zusammenwirken von Bewohnern, Eltern, Sozialarbeitern, Lehrerinnen, Aktivisten, die etwas ändern wollen, keine elitären Clubs der Kriminalprävention. Der Aggression im Alltag muss entschiedener begegnet werden. Eine mit Recht und humanitärem Anstand vereinbare Form, die Täter zu beschämen, müsste entwickelt werden. Das wäre kein Pranger, wie deutsche Pädagogik stets vermutet." In seiner Beschreibung des Problems bezieht er sich auf den amerikanischen Soziologen Elija Anderson, der sich mit dem Street Code in den Gangsta-Bezirken amerikanische Großstädte befasst hat: "Nach Andersons Studie gibt es in den Slums zwei Wertesysteme: das der "Anständigen" und das der Straße. Das Wertesystem der "Straße" beherrscht, obwohl nur eine Minderzahl der Bewohner ein aggressives Gewaltsystem ausübt, die Regeln des Verhaltens im öffentlichen Raum, auch für die Anständigen und ihre Kinder. Wer diese Regeln nicht beachtet, riskiert Gesundheit oder Leben. Die Aggressoren erkennen irgendein Verhalten ihres Opfers als disrespect, als dissing, also als Angriff auf ihre männliche Ehre. Und wer öffentlich "gedisst" wird, muss reagieren, am besten mit Gewalt. Und "Im Kern des Codes steht der Begriff "Respekt". Das ist die Währung, die zählt. Ursprünglich bedeutet Respekt "Rücksicht". Doch hier geht es um das genaue Gegenteil: um den Respekt als Tributleistung an die gesellschaftlich Nichtrespektablen. To pay ones respect verweist auf die Heller-und-Pfennig-Qualität des Worts, to pay ones last respect bedeutet, man erweist die letzte Ehre, indem man zum Begräbnis erscheint. Das machen jene aber nicht, die jemand wegen (einer unterstellten oder beabsichtigten) Respektverletzung umbringen. Jemandem Respekt erweisen, besser: zollen, verbindet sich mit einer Erwartung von Unterwürfigkeit der Niedriggestellten; einer vormodernen hierarchischen Anordnung. Wenn der Feudalherr mit seinen Samurai vorbeireitet, muss sich der Pöbel in den Staub werfen und den Kopf senken. Im feudalen Japan und Europa beruht diese bedingungslose Unterwürfigkeit auf enormen Sanktionsdrohungen. Wer sich respektlos gegenüber der Herrschaft verhält, verliert sein Leben. In einigen Slums ist das auch das Sanktionsprinzip der Gangsta-Herren." Zum vollständigen Artikel…
Mit einer Dienstanweisung hatte das Jugendamt der Stadt Halle im vergangenen Jahr angeordnet, alle Kinder und Jugendlichen aus Heimen in ihre Familien zurückzuführen. So sollten im Etat der Jugendhilfe vier Millionen Euro in zwei Jahren eingespart werden. In der jüngsten Ausgabe von Kontext, der Fachzeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Systemische Therapie und Familientherapie (DGSF), kommentiert Professor Wolf Ritscher die „skandalöse Dienstanweisung“ – im Heft komplett abgedruckt – und beleuchtet fachliche Hintergründe. Für die stellvertretende Vorsitzende der DGSF, Heliane Schnelle, ist der „Fall Halle“ nur die Spitze eines Eisbergs. Weil benachteiligte Familien insbesondere auf kommunaler Ebene keine Lobby hätten, seien die Ausgaben für die Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren systematisch zurückgefahren worden. Für Maßnahmen im Vorfeld von einer Heimunterbringung – ambulante Betreuung durch Familienhelfer, „Clearingstellen“ oder aufsuchende Familientherapie – werde kaum noch Geld ausgegeben. „Mit diesen Einsparungen steigt das Risiko von familiärer Gewalt oder der Vernachlässigung von Kindern“, so Schnelle. Die Rückführung von Kindern und Jugendlichen in ihre Familien sei ein erstrebenswertes Ziel, dürfe aber nicht in jeder Situation erfolgen oder allein aus „Haushaltszwängen“. In klaren Fällen von Kindeswohlgefährdung bleibe ein Heimaufenthalt oder die Unterbringung in einer Pflegefamilie erforderlich. Schnelle, deren Fachverband mehr als 2700 Familientherapeuten oder Berater vertritt, betont: „Sowohl für eine Rückführung in die Familie als auch für eine begleitende Maßnahme parallel zu einer Heimunterbringung haben sich Familientherapie und besonders aufsuchende Familientherapie als Unterstützungsangebote sehr bewährt.“ Ambulante Betreuung könne zwar die Zahl von stationären Unterbringungen vermindern, koste aber zunächst einmal auch Geld zum Beispiel für die Qualifizierung der Helfer. Dass „Investitionen“ in die Jugendhilfe allerdings gut angelegtes Geld seien, zeigten etwa die Kosten-Nutzen-Rechnungen des Institutes für Kinder und Jugendhilfe (IKJ) in Mainz. Der Text von Wolf Ritscher "Organisierte Verantwortungslosigkeit in der Jugendhilfe: Das Beispiel Halle (Saale)" aus dem Kontext 4/2007 (379–389) kann hier vollständig heruntergeladen werden. (Presseerklärung der DGSF)
Geht man auf die website der American Society for Cybernetics, hat es den Anschein, dass man es mit einem Verband mit einer ausgefeilten Verbandstruktur mit zahlreichen Gremien, Officers zu tun hat, der ständig irgendwelche Veranstaltungen organisiert. Im Jahre 2005 hat die Society Ernst von Glasersfeld die Norbert-Wiener-Medaille für Kybernetik verliehen, eine Art Life Time Award also. Michael Wald vom Blog Filtertraum hat ein bemerkenswertes Video bei youtube von der etwas frugalen Preisverleihungszeremonie ausfindig gemacht (auf welches übrigens auch auf Seiten der Gesellschaft hingewiesen wird), zu der sich jeder selbst ein Bild machen möge. In der Regel dient die Verleihung eines Preises ja nicht nur der Ehrung des Preisträgers, sondern soll gleichzeitig auch die Reputation des Preisverleihers bekräftigen. Diese Erwartung wird mit diesem Video allerdings grandios unterlaufen. And the winner is…?