Klassiker | ||||
Bateson, Gregory Geist und Natur. Eine notwendige Einheit |
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Wolfram Lutterer, Luzern: Von Batesons Büchern ist das 1979 veröffentlichte Geist und Natur das letzte, das er vollendet hat. Bateson starb im Jahre 1980. Ein weiteres Buch, Wo Engel zögern, ist unvollendet geblieben. Dessen Fragmente sind erst Jahre später, 1987, von Batesons Tochter Mary Catherine Bateson zusammengestellt, kommentiert, ergänzt und veröffentlicht worden. Dieser späte Bateson, als Autor von Geist und Natur, wie auch von Wo Engel zögern, unterscheidet sich von seinen früheren Veröffentlichungsgewohnheiten vor allem darin, dass er damit beginnt, Bücher zu schreiben, nachdem er jahrzehntelang fast nur Aufsätze publizierte. Denn angesichts einer Veröffentlichungsdauer von rund fünf Jahrzehnten war seine Bücherproduktion relativ bescheiden. Im Jahr 1936 veröffentlicht er das ethnologische Buch Naven. Im Jahr 1951 schrieb er zusammen mit Jürgen Ruesch Kommunikation, jenes Buch, dessen Inhalte so viele über Paul Watzlawicks Veröffentlichungen zu kennen glauben, und erst 1972 die berühmte Ökologie des Geistes als Sammlung von thematisch geordneten Aufsätzen aus 35 Jahren Veröffentlichungstätigkeit. Geist und Natur stellt eine Integration und Weiterentwicklung von Batesons Theorie dar. Seinen Anfang findet es hierbei in der Reflektion von alltäglichen Vorstellungen. Bateson listet eine ganze Reihe von fundamentalen erkenntnistheoretischen und -praktischen Grundannahmen auf, die gewöhnlich teils unausgesprochen, teils unverstanden bleiben; so wie etwa der Hinweis, dass bloße Quantität keine Muster determinieren könne (Geist und Natur, S. 71). Eine weitere, darauf aufbauende Liste thematisiert den Mehrwert, den die Kombination von verschiedenen Beschreibungsweisen generieren kann. Prominentes Beispiel hierfür ist das binokulare Sehen: Erst durch das Sehen mit zwei Augen wird uns eine neue Qualität eröffnet, nämlich die Tiefenwahrnehmung, das dreidimensionale Sehen. Beispiele dieser Art nutzt Bateson, um den für ihn wichtigen Punkt zu veranschaulichen, dass zwei Beschreibungen nicht bloß mehr, sondern vor allem besser sind als nur eine. Damit distanzierte er sich zugleich auch von der üblichen Wissenschaftspraxis, wo für gewöhnlich der jeweils eigenen Perspektive eine besondere und von konkurrierenden Theorien nicht erreichte Relevanz behauptet wird. Vielleicht ist diese Sichtweise Batesons auch Grund dafür, dass er trotz seines hohen Einflusses auf andere Theorien keine eigene wissenschaftliche Schule von „Batesonianern“ hinterlassen hat. Das zentrale Anliegen von Geist und Natur beinhaltet mehr noch als in der Ökologie des Geistes den Entwurf einer kybernetischen Erkenntnistheorie, einer Erkenntnistheorie als eine „unteilbare integrierte Meta-Wissenschaft“ (S. 111 f.), die Erkennen, Denken und Handeln als etwas Zusammengehörendes zu beschreiben versucht. Die Argumentation hierzu führt zu zwei wesentlichen Einsichten: Zum ersten zu einer Theorie des Geistes, worin „geistige“ Phänomene als informationsverarbeitende Prozesse verstanden werden. Dies hat dann u.a zur Folge, dass auch der individuelle „Geist“ über die eigenen Körpergrenzen hinausreicht, indem er auch die Interaktionen mit seiner Umwelt beinhaltet. Denn, so wie bereits in der Ökologie des Geistes formuliert: Das System aus Mensch, Computer und Umgebung ein geistiges in dem Sinne, als dass es sich auf Versuch und Irrtum einlässt; ebenso wie das System aus dem Holzfäller, seiner Axt und der gehauenen Kerbe in einem Baum. Diese Erkenntnis benutzt Bateson für einen zweite These, die ebenfalls an Gedanken anknüpft, die bereits in der Ökologie des Geistes entwickelt wurden: die Betonung von Mustern, von Interaktionen, von Qualität anstelle von Quantität. Es sind die Muster, die verbinden, die er dabei herauszuarbeiten versucht: analoge bzw. verbindende Strukturen innerhalb der organischen Welt der Natur ebenso wie das Verbindende innerhalb der Welt des individuellen wie auch überindividuellen Welt des Geistes. Also: Geist und Natur als eine programmatische Schrift für das Bestreben nach einer integrierenden, systemischen Sichtweise. Was mag nun aber heute noch die besondere Bedeutung von Geist und Natur sein? Schließlich spiegelt das Buch den Erkenntnisstand der 1970er Jahre wider. Was mag es uns also heute noch sagen im Zeichen der vielen neueren Entwicklungen und Erkenntnisse im Bereich der Biologie und dort vor allem der Soziobiologie bzw. der Evolutionspsychologie; was mag es sagen im Hinblick auf Systemtheorie, Autopoiesis, Beobachtung zweiter Ordnung und was da noch so derzeit im soziologischen Bereich diskutiert wird? Vermutlich vor allem eines, nämlich dass sowohl biologische, als auch soziale und geistige Phänomene komplexer und vor allem auch anders sind als häufig aufgrund theoretischer Vorannahmen behauptet. Eine Rezension ist nun sicherlich nicht der richtige Platz, um in eine fachliche Diskussion einzusteigen, daher beschränke ich mich hier auf einige Anmerkungen. Warum Soziobiologie? Bateson erwähnt diese nicht nur in Geist und Natur – wenn auch nur in einer Fußnote (S. 166) – sondern die Soziobiologie (vor allem Wilsonscher Prägung) versucht auch ein sehr ähnliches Unterfangen wie Bateson, nämlich eine Einheit von Geist und Natur herzustellen. Allerdings beschränkt sie sich dann darauf, Geist (d.h. dort: Sozialverhalten) auf Natur (d.h. die Gene) zu reduzieren und begreift schließlich alle sozialen und geistigen Phänomene dann bloß an einer langen Leine der Gene hängend. Eine Batesonsche Perspektive macht hier verschiedenes klarer: Zum einen dass Natur zwar Grenzen setzt, aber: wenn sie direkte Bedingungen setzte, würde sie den evolutiven Prozess verunmöglichen. Man kann nicht beides haben: Die menschliche Fähigkeit zu Lernen, welche die soziale und kulturelle Evolution erst ermöglicht hat und zugleich auch eine rigide genetische Zwangsjacke. Bateson diskutiert in Geist und Natur daher ausführlich auch evolutionsbiologische Probleme, diese sind u.a. Thema des sechsten Kapitels, „Die großen stochastischen Prozesse“. Ähnliches gilt übrigens meines Erachtens auch für die Systemtheorie Luhmannscher Prägung, die deutlich (wenn auch nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich) durch Batesonsche Ideen beeinflusst wurde. Das systemtheoretische Bestreben nach Klarheit, Stringenz und wissenschaftlicher Abgrenzung von Beschreibungsdomänen führte nämlich zu blinden Flecken ganz eigener Art, die dann auch noch durch den eigenwilligen Umgang Luhmanns mit seinen Ideenlieferanten verstärkt wurden. So führte etwa die Luhmannsche Interpretation der Autopoiesis zusammen mit seiner Annahme einer nur strukturellen Koppelung von Systemen zu einem deutlichen Verkennen des informatorischen Fließ- und Interaktionscharakters sozialer und geistiger Systeme; eine Problematik, die auch noch dadurch verstärkt wurde, dass Luhmann im wesentlichen seine Theorie sogar akausal konstruierte – und eben umgekehrt Kausalität offensichtlich nur noch als Konstuktion verstand. Hier fällt er leider deutlich hinter kybernetische Einsichten Batesons hinsichtlich kausaler Kreisläufe zurück und formuliert als akausale Theorie letztlich auch eher eine Philosophie als eine Soziologie. Ich möchte allerdings umgekehrt auch nicht den Eindruck erwecken, man müsse bloß Bateson lesen und hätte dann alles verstanden. Auch Geist und Natur hat seine deutlichen Grenzen und dies an verschiedener Stelle. So hat dem Buch sicherlich nicht gut getan, dass es zumindest teilweise in ziemlicher Hast geschrieben wurde: Inmitten seiner Niederschrift erkrankte Bateson inoperabel an Lungenkrebs, der sich dann jedoch offensichtlich spontan wieder zurückbildete. Und so gibt es zumindest kleinere Ungereimtheiten, so etwa bei Batesons Auflistung von sechs Kriterien für „Geist“, deren vielleicht mögliche Reduzierbarkeit er anspricht, um gleich danach von bloß noch fünf Kriterien zu sprechen (vgl. S. 260 f.). Des weiteren verbleiben verschiedene theorierelevante Bereiche unausgelotet. So ist es Bateson nicht mehr gelungen, seine Analyse des „Mythos Macht“, die er in Ökologie des Geistes begann und am Ende von Geist und Natur wieder aufgreift, auch tatsächlich zu einem befriedigendem Ende zu bringen. Ähnliches gilt auch für seine Analyse von Bewusstsein, die zwar immerhin noch in den Manuskripten zu Wo Engel zögern wiederaufgegriffen wird, dort jedoch unabgeschlossen – und dann auch unveröffentlicht – bleibt. Anders hingegen verhält es sich mit einer weiteren Diskussion, die in Geist und Natur eröffnet wird. Die Erörterung eines nichtreligiösen Begriffs eines Heiligen bzw. des Sakraments wird in Wo Engel zögern noch ein wichtiges Stück fortgeschrieben, eingebunden in den Gesamtzusammenhang von Batesons Analysen zu pathogener Kommunikation. Geist und Natur aber bleibt noch kurz vor dieser Frage stehen, auch wenn diese in einem abschliessenden Metalog bereits deutlich anklingt. Und schließlich: Es gibt Gedanken in Geist und Natur, die sich zumindest meinem Verständnis nicht so ganz erschliessen. Dies gilt insbesondere für die Skizze von Form und Prozeß, die im siebten Kapitel erfolgt. Bleibt abschließend folgendes: Auch heute noch, inmitten des sogenannten Informationszeitalters und dem Wiederaufleben verschiedenartiger reduktionistischer Theorien und Ideologien bleibt die Lektüre Batesons befreiend. Man mag zu seinen einzelnen Gedanken stehen, wie man will, er eröffnet zumindest neue Horizonte und er tut dies in redlicher und selbstkritischer Art. Sein Denken steht dabei für die Überwindung allzu enger System- und Perspektivgrenzen und damit zumindest für die Anfänge eines theoretischen Instrumentariums für eine systemische Theorie von etwas, das man vielleicht mit der Wendung einer „Naturgeschichte des belebten Geistes“ umreissen könnte. Bateson steht damit aber für ein weiterhin unabgeschlossenes und vielleicht auch unabschließbares Projekt. Man findet bei ihm viele wichtige Gedanken und Einsichten, aber keine in sich geschlossene große Theorie. Aber dies hätte er sicherlich auch gar nicht gewollt. Wolfram Lutterer hat zwei Bücher über Gregory Bateson geschrieben. Eine Einführung in sein Werk ist im Carl-Auer-Verlag erschienen unter dem Titel "Gregory Bateson. Eine Einführung in sein Denken". Ein weiteres Buch ist (als book on demand) unter dem Titel "Gregory Bateson. Auf den Spuren ökologischen Bewußtseins" erhältlich. Die Einleitung ist online zu lesen, ebenso eine anschauliche Biografie von Gregory Bateson. Desweiteren existiert ein Gregory-Bateson-Archiv, das sich in erster Linie an Bateson-Forscher richtet. Eine Seite mit Originaltexten und Interviews von Bateson, unter anderem dem Bericht über seine letzten Lebenstage von seiner Tochter Mary Catherine Bateson ist hier zu finden, deren ihren Eltern Gregory Bateson und Margaret Mead gewidmetes Institute for Intercultural Studies eine eigene Website hat. Die deutsche Übersetzung des genannten Beitrages ist übrigens unter dem Titel "Sechs Tage Sterben" in Heft 3/2000 der Zeitschrift systhema erschienen (PDF). |